Detective Grimoire ist irritiert. Mit dem Ruderboot wird er tief in den entlegenen Sumpf hinein gebracht, um dort den Mord am Besitzer einer Touristenattraktion aufzuklären. Eine Touristenattraktion in einem Sumpf? Aber es ist eben nicht irgendein Sumpf. Hier ist einmal vor 60 Jahren (und auch nur einmal vor 60 Jahren) Boggy erschienen, das kryptozoologische Ding aus dem Sumpf, und lockt seither die Schaulustigen an – und jetzt offenbar auch einen Mörder. Oder war es doch das mysteriöse Sumpfmonster selbst? Alle Spuren deuten darauf hin – aber Grimoire glaubt nicht an Boggy, und so lässt er keinen Stein auf dem anderen, keinen Verdächtigen unverhört, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen …
Am Samstag war ich in brüllender Hitze mit einer Gruppe Freunde in der Stadt auf Mördersuche, eine Mischung aus Online-Escaperoom und Schnitzeljagd, doch auch hier war leider der der Spaß zwar da, aber der Fall zu schnell gelöst. Bieten da Computerspiele da mehr Anspruch? Immerhin bieten sie viele Möglichkeiten, einen Fall in seiner ganzen Komplexität aufzuarbeiten. Aber so sehr ich Games mag, wo ich selbst in die Ermittlerrolle schlüpfen kann, habe ich noch nicht viele gefunden, die mich überzeugt haben. Ich mag Frogwares Sherlock Holmes-Spiele, und das war es dann praktisch auch schon, zu wenige Spiele, die ich ausprobiert habe, lassen mich wirklich Indizien zusammentragen, Zeugen vernehmen und eigene Schlüsse ziehen.
Das heißt aber nicht, dass ich es nicht gerne immer wieder ausprobiere! Nachdem ich Strange Horticulture als Detektivspiel verschlagwortet hatte, habe ich mich auf die Suche nach weiteren Vertretern dieses Genres gemacht, weil ich weiß, in meinem Stapel ungespielter Spiele steckt noch der eine oder andere Vertreter, den ich seit Jahren besitze, aber noch nie angefasst habe, und gleich als erstes wurde ich von Detective Grimoire und seiner Fortsetzung, Tangle Tower, angesprungen. Und weil es nur ein kleines Spiel ist, habe ich es in knapp über drei Stunden auch schon durchgespielt. Aber die Kürze ist nicht der Grund, warum mein Urteil am Ende mit »Meh« ausgefallen ist – das Spiel ist nett, aber eben nur nett, und es hat mich an keiner Stelle zum Mitfiebern gebracht, mir kein Kopfzerbrechen bereitet, und mich weder berührt, noch zum Lachen gebracht.
Tatsächlich ist dieses Spiel, das mit vollem Namen Detective Grimoire: Secret of the Swamp heißt, eigentlich der zweite Teil seiner Reihe. Der erste, einfach nur Detective Grimoire genannt, war ein reines Browserspiel, das zwar heute noch einen guten Ruf geniest, aber flashbasiert (der Name des Entwicklerstudios, SFB, löst sich in Super Flash Brothers auf) und ist heute, nach dem Ende von Flash, nicht mehr wirklich spielbar. Ich habe zwar noch eine Version online gefunden, die einen Emulator verwendet, und konnte das Intro anschauen, aber was danach kam, reagierte auf keinerlei Eingaben mehr, und ich habe den Versuch dann aufgegeben.
Doch auch der über Crowdfunding finanzierte Nachfolger fühlt sich an und spielt sich immer noch mehr wie ein Flashspiel als wie ein richtiges PC-Game – und man merkt, dass das Spiel erst für Mobilgeräte veröffentlicht wurde und auch nach der Portierung auf PC für Touchscreens optimiert ist. So ist es lästig, dass man, um von einer Szenerie in die nächste zu gehen, erst auf den Laufmodus umschalten muss, was auch nur bedeutet, dass dann die Pfeile, die aus der Szene hinausführen, eingeblendet werden – und in der nächsten Szene muss man den Laufmodus wieder aufs neue aktivieren. So bietet sich zur Bewegung eigentlich nur das Schnellreisen über die Karte an, was sich wenig intuitiv anfühlt und denjenigen, der lieber einfach von Bild zu Bild laufen würde, jedes Mal aus der Handlung rausreißt.
Die Steuerung ist sperrig und klobig, und ich möchte das Spiel nicht als Point-and-Click-Adventure bezeichnen, weil da ein wesentliches Element, die Fähigkeit, mit der Umgebung zu interagieren, Gegenstände mitzunehmen und zu benutzen, fehlt. Zwar kommentiert der Detektiv seine Umgebung, aber er verändert sie nicht, und selbst Indizien, die man hinterher angeblich in seinem Inventar stehen hat, liegen weiterhin in der Szenerie herum, die Mordwaffe eingeschlossen. Es ist egal, die Hauptsache ist, man kann die Verdächtigen dazu befragen, aber es wirkt dabei doch alles ein wenig halbgar, wenn nicht sogar lieblos. Stelle ich zu hohe Ansprüche? Vielleicht. die Kickstart-Kampagne hat keine Millionen eingesammelt, sondern knapp 30.000 Dollar, und damit haben die Macher ein anständiges Spiel auf die Beine gestellt.
Was wirklich herausragt, sind die Synchronsprecher. Auch wenn alle Texte am Bildschirm eingeblendet werden, ist das Spiel komplett durchsynchronisiert. Alle Rollen sind gut besetzt mit Sprechern, die ihr Handwerk verstehen, und das macht bei einem so dialoglastigen Spiel eine Menge aus. Viele der Sätze wird man sehr oft hören – man kann jeden Verdächtigen nach jedem Indiz befragen, aber zu 90% davon werden sie einen Standard-»Dazu kann ich nichts sagen«-Spruch abspulen. Wenn der Regisseur dann zum zehnten Mal sagt, dass er Autogramme doch am liebsten auf Papier gibt, hängt einem das dann doch zum Hals heraus und wünscht sich, er würde vielleicht doch einfach nur »Dazu weiß ich nichts zu sagen« antworten, aber das hat der Autor des Spiels zu verantworten.
Da man im Vorfeld nicht weiß, welcher Verdächtigen zu welchem Gegenstand etwas zu sagen hat, hat man wenig Wahl, als sich mit jedem einmal quer durch die komplette Liste zu bruteforcen, um keinen Hinweis zu verpassen, und es ist schade, dass sie doch nur so wenig zu sagen haben. Genauso, wenn man sie nach den anderen Kandidaten befragt: Zwar hat jeder eine Meinung zum Mordopfer, und meistens keine gute, aber zu den übrigen Verdächtigen haben sie kaum etwas zu sagen, und so führt man zwar Dialoge über Dialoge, aber dem meisten fehlt die Substanz. Man kann jeden nach seinem Beruf fragen und nach dem Alibi, zwei weitere fixe Gesprächsoptionen werden im Verlauf des Spieles aktiviert, und dann gibt es noch für jeden Verdächtigen eine separat freizuschaltende Challenge, mit der man sie noch mal so richtig in die Zange nehmen kann: Aber selbst die ergibt oft nichts Neues mehr.
Wenn man etwas Neues in Erfahrung bringt und damit zu einem Verdächtigen zurückkehrt, den man bereits befragt hat, kann man nicht auf die neuen Erkenntnisse Bezug nehmen, die Verdächtigen spulen die gleichen Sprüche ab wie zuvor, keiner ändert seine Aussage, und wen man in welcher Reihenfolge befragt, ist völlig egal – niemand nimmt jemals auf eine fremde Aussage Bezug, und nur neu gefundene Indizien bringen noch neue, aber wiederum unveränderliche Aussagen zutage. So fühlen sich die Verhöre trotz der guten Sprecher bald wie leidliche Arbeit an. Dazu kommt, dass das Spiel sich nicht entscheiden kann, ob es nun witzig sein will oder nicht – es versucht es halbherzig und scheitert daran, da hilft auch kein Comicstil und nicht, dass der Detektiv das halbe Spiel über den Verlust seines Hutes lamentiert: An keiner Stelle habe ich lachen müssen, alles plätschert ziemlich nichtssagend vor sich hin.
Über die Befragung der Verdächtigen hinaus gibt es wenig Detektivarbeit zu tun. Es gibt eine kleine Handvoll wirklich lachhafter, schnell erledigter Puzzle, die man ebenso gut hätte weglassen können, Indizien und Beweise zu sammeln, die mehr oder weniger offen herumliegen, und ab und zu eine Deduktion, für die man aus einer Auswahl an Versatzstücken einen Satz zusammensetzen muss, mit dem Detective Grimoire dann einen Geistesblitz formuliert – meistens auch wieder nur etwas, das schon längst offensichtlich war, dafür dann aber eine Dialog-Challenge freischaltet. Ich hatte knifflige Knobelei erwartet, aber man kann sich einfach durchklicken, ohne viel denken zu müssen. Man kann für jeden die verschiedenen Aussagen nach »verdächtig« und »nicht verdächtig« klassifizieren, aber es macht keinen Unterschied – nur ein Steam-Achievement lässt sich erreichen, wenn man alle anderen komplett verspricht und nur den eigentlichen Täter durch und durch für verdächtig hält, aber für den Ausgang des Spiels und die Auflösung des Falles ist es irrelevant.
Und selbst wenn man am Ende die gefundenen Indizien zusammenträgt und den Täter überführt, kommt keine Spannung auf – zu gleichgültig fühlt sich alles an, und ob es zu einer Verhaftung kommt oder nicht, erscheint gleichgültig. Um das Opfer ist es wenig schade, die anderen Verdächtigen sind auch alle irgendwie doof, und die einzige wirklich zwielichtige Gestalt im Spiel ist ein sporadisch auftauchendes gruseliges kleines Mädchen, das aber per Spielmechanik gar nicht verdächtigt werden kann: Woran Detective Grimoire unterm Strich krankt, ist ein Mangel an Ideen. Sie wollten nach dm Browsergame noch ein Spiel machen, und das haben sie getan, aber es spielt sich, als hätten noch nicht mal die Macher Spaß daran gehabt. Dann hätte man auch gleich ganz darauf verzichten können, oder das alte Flashgame nach Steam portieren – nach den Rezensionen derjenigen, die beide gespielt haben, muss der Erstling der Fortsetzung an detektivischem Anspruch deutlich überlegen gewesen sein.
Und so habe ich die zweite belanglos einfache Mörderjagd binnen weniger Tage hinter mich gebracht. Aber zumindest habe ich mir diesmal nicht bei fünfunddreißig Grad im Schatten die Haxen ablaufen müssen. Und genauso, wie ich durchaus noch mal so eine GPS-Schnitzeljagd mitmachen würde, nur eben nicht in so einer Hitze, werde ich auch die Detective Grimoire-Fortsetzung Tangle Tower bei nächster Gelegenheit auch noch spielen.