Als Autor kann man sich jeden Scheiß erlauben, aber nur, wenn man für Computerspiele schreibt. Komme ich mit der Idee eines Romans, in dem eine anthropomorphe Kartoffel die Waffenschmiede ihres Großvaters erbt, rufen Leser, Verlage und meine Agentin unisono »Was hast du geraucht?«. Bei Computerspielen hingegen heißt es dann »Was hast du geraucht? Geiler Scheiß! Das machen wir!«. Und obwohl ich die Idee sprechender Kartoffeln nicht sonderlich witzig finde, mit Simulationen und Zeit-Management-Spielen wenig anfangen kann und das Spiel auf Steam bereit als »Interessiert mich nicht« weggeklickt hatte, stehe ich nun, Bundle sei Dank, mit Holy Potatoes! A Weapon Shop? da – und mit dreißig Stunden Spielzeit, sämtlichen verfügbaren Achievements und beendeter Kampagne plus Add-On. Irgendwas muss an diesen Kartoffeln also doch dran sein.
Eigentlich mag ich Zeitmanagement-Spiele sogar ganz gerne. Sie neigen nur dazu, mich völlig zu stressen, bis ich die Lust verliere. Ich komme beruflich aus dem Einzelhandel, unter anderem. Will ich dann auch in meiner Freizeit hinter nörgelndem Kunden herhetzen, die motzend den Laden verlassen, wenn es ihnen nicht schnell genug geht? Bei den meisten solchen Spielen ist der erste Akt noch gut zu schaffen, danach ziehen Tempo und Schwierigkeit so an, dass ich den Spaß verliere, und als ich Holy Potatoes! A Weapon Shop? eher zaghaft antestete, rechnete ich damit, dass sich auch dieses Game in genau so eine Richtung entwickeln sollte: Aber dass es genau das nicht getan hat, spricht auf die lange Sicht nicht für dieses Spiel, sondern dagegen. Dass es mir nicht zu schwer wird, hat nämlich genau einen Grund: Es schlichtweg viel zu einfach.
Hat man sich einmal durch das nervende Tutorial gequält, dass den Spieler so vehement bei der Hand nimmt, dass kein Handschlag selbständig getan werden kann, steht man also mit einem Waffenladen da, drei Schmiede und den Bauplänen für je ein Dolch, Bogen und Axt. Das allein wäre schon ein spannender Ansatz für ein Spiel, wie ich es bislang noch nicht gespielt habe, aber um noch eine Schippe draufzulegen, sind alle Figuren Kartoffeln. Zumindest auf dem Papier: Sie könnten ebensogut anthropmorphe Würstchen sein und sehen der nicht jugendfreien Mem-Figur Dickbutt ähnlicher als das, was ich zum Abendessen schäle, vor allem aber liefern sie so Material für Wortspiele über Wortspiele, für die man aber wohl weder erwachsen noch nüchtern sein darf, um sie witzig zu finden. Jede Wort, das sich auf Englisch irgendwie in Kartfoffelzusammenhang bringen lässt, wird bis zum Gehtnichtmehr ausgelutscht. Tater? Tuber? Spud? Ein Flachwitztrinkspiel hätte ich vermutlich nicht überlebt.
Dazu gehört auch, dass man zwischendurch immer wieder Questen von reisenden Helden bekommt, die aus der Popkultur hinreichend bekannt sind und die jeweils eine für sie typische Waffe brauchen – nur, dass sie natürlich auch alle Kartoffeln sind und einen Kartoffelwitz im Namen tragen. So baue ich dann einen Lichtschwert-Verschnitt für »Luke Spudwalker«. Manche Figuren kenne ich nicht, einige erfreuen mich ein bisschen, wie die Kartoffel-Antwort auf Himura Kenshin. Dem Gordon-Freeman-Verschnitt darf ich allerdings kein supertolles Brecheisen bauen, sondern nur eine Half Life 3-CD – was nicht nur nicht witzig ist, sondern auch voll an der Zielgruppe vorbeigeht: Wer außer mir erinnert sich denn noch an Zeiten, auf denen Spiele auf Datenträgern verkauft wurden? Trotzdem: Hier wäre eine Möglichkeit gewesen, wirklich etwas Witz in dieses als witzig konzipierte Spiel zu bringen – wären nicht die Dialoge so unsäglich. Lahm, zerredet, breitgewalzt. Es geht hin und her, und hin und her, ohne jemals auf den Punkt zu kommen, ohne dass die Pointen zünden – selbst nach Pointen, die nicht zünden, sucht man vergeblich, es bleibt beim Blah. Und so klicke ich mich bald blind durch die Dialoge, überfliege sie nur noch grob, ohne viel zu verpassen, und freue mich, wenn die Intervention vorbei ist und ich wieder schmieden darf.
Das Schmieden macht nämlich wirklich Spaß. Dass Kunden in den Laden kommen und los, zack-zack, schon fertig sein nach einer Waffe verlagen, passiert nämlich nur selten – stattdessen produziert man das, was man glaubt, am besten verkaufen zu können, fährt in die Stadt und verkauft seine Waffen an den meistbietenden Helden. Üblicherweise finden sich vier Helden pro Gebiet (im Add-On nur zwei), jeder mit einem heldentypischen Beruf, Lieblingswaffe und benötigtem Attribut. Der Dieb möchte also gerne einen schnellen, treffsicheren Dolch, der Magier lieber einen magischen, mächtigen Stab. Für jede Verkaufstour kann man drei Waffen mitnehmen, idealerweise genau auf die bekannte Kundschaft zugeschnitten, die Gebote einholen und verkaufen – aber Achtung: Jeder Held kann immer nur eine Waffe kaufen.
Hat man also den schnellen Bogen versehentlich an den Dieb verkauft, der eigentlich einen schnellen Dolch haben wollte, aber trotzdem auf den Bogen geboten hat, steht man am Ende mit einem Dolch da, den keiner haben will, weil der Waldläufer keine Dolche mag. Da man seinen geschmiedeten Werken eigene Namen geben kann, bin ich bin irgendwann dazu übergegangen, jede Waffe nach dem Helden zu benennen, für den ich sie geschmiedet habe, um nicht jedesmal alle Details abgleichen zu müssen. Von der Anzahl der Erfahrungsstufen, die ein Held mit seiner neuen Waffe bekommt, hängt ab, wie viel Ruhm der Schmied dafür bekommt – aber was für Abenteuer mit unseren Waffen erlebt werden, davon erfahren wir nichts. Ich bin nur der Schmied, ich liefere die Waffe, mehr braucht mich nicht zu interessieren. Ob damit gemeuchtelt und gemordet wird oder Jungfrauen gerettet – es kann uns egal sein, solange die Kohle stimmt, oder, wie sie hier heißt, Stärke (Starch).
Die eigentlichen Probleme werden niemals thematisiert: Dass Kartoffeln mit Stärke bezahlen und Vodka trinken, also zu Vampirismus, Kanibalismus und Leichenfledderei neigen, ist das eine. Aber viel schlimmer: Meine Waffen sind offentsichtlich Schrott. Der Waldläufer, dem ich letzte Woche einen Bogen verkauft habe, braucht diese Woche den nächsten, länger hat der alte offenbar nicht gehalten. Wann immer ich mit meinen Waffen in die Stadt komme, die Kunden stehen Schlange und reißen sie mir aus der Hand, froh, dass überhaupt irgendjemand Waffen für sie hat. Mit Konkurrenz habe ich nicht zu kämpfen, außer in der jährlich stattfindenden Wahl zum Schmied des Jahres – und spätestens im vierten Jahr hat man den Dreh so raus, dass man jeden Preis abräumt, ohne sich noch irgendwelche Mühe geben zu müssen, die eigenen Werte sind denen der anderen so himmelweit überlegen, dass man eigentlich außer Konkurrenz laufen müsste: Die Schwierigkeit des Spiels skaliert einfach nicht mit.
Herausforderungen gibt es keine. Man muss seine Schmiede bezahlen – die, wenn sie an Erfahrung sammeln, auch entsprechend mehr Geld bekommen – aber die Einnahmen wachsen überproportional mit. Mit Materialkosten muss man nur ganz am Anfang kalkulieren, danach bekommt man die Möglichkeit, Gebiete zu erforschen und findet dabei nicht nur die dringend benötigen Relikte und Verzauberungen, um neue Waffentypen zu erforschen und Waffen zu verbessern, sondern auch alle andernen benötigten Materialien, so dass man im Leben nie wieder einkaufen gehen muss. Mit jedem Monat wird das Spiel einfacher und einfacher, und wenn der Agent vorbeikommt – ein an Hitman angelehnter Widersacher, der so tut, als gehöre ihm der Laden – und mir meine sauer verdiente Stärke aus der Tasche zieht, bezahle ich ihn aus der Portokasse, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Und wo andere Spiele dieser Art eine Möglichkeit bieten, die Schwierigkeit zu erhöhen – spätestens, nachdem man es das erste Mal durchgespielt hat – gibt es für Holy Potatoes! A Weapon Shop?! keine anderen Schwierigkeitsstufen als diese eine, viel zu niedrig dimensionierte.
Es ist genau das Spiel für jemanden, der Erfolgserlebnisse braucht, Casual Gaming ohne Stress, aber mit hohem Suchtfaktor. Das Geld wird mehr und mehr, die Schmiede werden Meister ihres Handwerks, man baut Waffe um Waffe, immer eine nach der anderen – eine Warteschlange gibt es nicht – und bekommt ab und zu ein Steam-Achievement, weil man 25 Dolche geschmiedet hat oder 50 Katanas. Tatsächlich ist das Spiel dermaßen entspannend und einfach, dass ich, nachdem die Rahmenhandlung sehr antiklimaktisch in einem viel zu langen Dialog zu Ende geht, beschließe, noch so lange weiterzuspielen, bis ich alle Achievements habe. Sie sind schaffbar, erfordern kein Talent, nur Zeit und Arbeit – und man kann auf diese Weise die seltensten Achievements überhaupt abräumen. Nur 0,8 Prozent aller Spieler haben 50 Kanonen gebaut? Das schaffe ich doch mit links! (Tatsächlich schaffe ich alles mit links, das passiert, wenn man Linkshänder ist).
So ändere ich meine Strategie. Vorher habe meine Waffen individuell auf den einzelnen Kunden zugeschnitten und für jede Waffe die jeweils besten Schmieden auf den verschiedenen Attributen platziert. Mehr als zwei Werte pro Waffe braucht man nie, der Clou liegt also darin, die Schmiede zwischen den Stationen hin und her zu scheuchen, um optimierte Ware abzuliefern. Bis zu zehn Schmiede kann man haben, fünf an jeder Station unterbringen, aber die Zeit, die es dauert, sie von A nach B zu schicken, dazu immer wieder ihre Werte vergleichen, wer steigern möchte, muss zwischendurch die Klasse wechseln und hat dann erstmal wieder schlechtere Werte als vorher, was ein durchaus reizvolles System ist, es aber aber für den Spieler anstrengend macht, den Überblick zu behalten, wer gerade worin gut ist. Gute Handarbeit braucht eben ihre Zeit. Aber um 50 Waffen von jeder Sorte zu machen und alle Achievements abzuräumen, braucht man keine Handarbeit mehr. Massenproduktion ist angesagt.
Und so führe ich die Planwirtschaft ein. Die Helden sind mir egal. Es haben ohnehin längst alle von ihnen das Maximallevel erreicht. Jetzt sollen sie mir nur meine Waffen abkaufen. Die Erfahrung zeigt: Egal was ich baue, wenn die Werte der Waffe nur insgesamt hoch genug sind, finde ich in jeder Stadt zwei Interessenten. Nun gut. Ich verteile meine Schmiede gleichmäßig auf die Stationen, in denen sie am besten sind, und baue Schwerter. Nur Schwerter, so lange, bis ich das Schwerter-Achievement habe. Der Reihe nach verbessere ich Stärke, Schnelligkeit, Präzision und Magie, um eine verschiedenen Verzauberungen gleichmäßig aufzubrauchen. Es ist egal. Was ich in die Stadt schleppe, wird gekauft. Ich kann den letzten Mist anbieten – einen Glitzernden Wurfstern der Großen Magie, irgendwer? – ich bekomme Geld dafür. Der Meistbietende bekommt es.
Meine Schmiede schmieden im Akkord. Ich habe noch so viel Material rumliegen, dass ich niemanden mehr einkaufen oder erforschen schicken muss. Das Spezialzeug für den besten Bogen ist aus? Dann bauen wir eben den Zweit-, Dritt-, Vierbesten. Masse statt Klasse. Mein letztes Gebiet hat fünf Städte, ich baue zehn Stück von was auch immer gerade dran ist, schicke fünf Schmiede zum Verkaufen und biete jeweils zwei Stücke an. Bei dreien wäre das Risiko zu groß, keine brauchbaren Gebote für das Dritte zu bekommen, und ich schwimme zwar im Geld, aber zum Verschenken sind mir meine Sachen dann doch noch zu gut – und ich will auch nicht eine schlechte Bewertung auf »Whet’s Up«, dem schenkelkopfend benannten Social Network für Schmiedeerzeugnisse, bekommen, selbst wenn auch das mir egal sein kann. Nur einmal im Jahr, wenn die Kategorien für den »Schmied des Jahres«-Award reinkommen, gebe ich mir mit zwei Waffen ein bisschen mehr Mühe und räume die erwarteten Preise ab.
Nach drei Tagen Spielzeit, die sich zunehmend mehr wie Arbeit und nicht mehr wie ein Spiel anfühlen, habe ich erfolgreich alle Achievements mitgenommen, die das Spiel anbietet. Der Schaukasten in meinem Steamprofil, der meine seltensten Achievements anzeigt, ist komplett zugekleistert mit Holy Potatoes! A Weapon Shop?!. Ich habe drei Euro für ein Add-On ausgegeben, das fünf weitere Achievements mitbringt, und mich durch eine ganz nette, aber ziemlich kurze Kampagne, die es schafft, in der griechischen Götterwelt angesiedelt zu sein, ohne ausgerechnet Hephaistos auch nur mit einem Wort zu erwähnen, gespielt. Das Spiel ist durch, aus, vorbei, alle, und ich habe Lust, es gleich nochmal von vorne zu beginnen. Irgendwas machen diese Kartoffeln also richtig, es ist nur schwer zu sagen, was. Es ist nicht der Humor, der voll an mir, meinem Alter und meinem Intellekt vorbeigeht.
Es sind auch nicht die Graphiken, die seltsam disjunkt wirken – Cartoon-Kartoffeln geparrt mit bezaubernden surrealistischen Aquarell-Landschaften, als hätten bei Daylight Studios, dem in Singapur ansässischen Entwickler, zwei verfeindete Graphikteams in unterschiedlichen Räumen gesessen und bis zum Ende kein Wort miteinander gewechselt. Es ist sicher nicht das Schwierigkeitslevel. Aber was man dem Spiel anmerkt, ist, dass die Entwickler mit Mobile Games angefangen haben. Sie wissen ihren Spieler bei der Stange zu halten, und gäbe es Ingame-Käufe über dieses eine Add-On hinaus, ich hätte ihnen vermutlich mein gesamtes Geld in den Rachen geworfen, ohne wirklich zu verstehen, warum ich das tue oder was ich dafür bekomme. So wie die Kinder Tom Sawyer Geld bezahlt haben, um seinen Gartenzaun zu streichen, lässt mich Holy Potatoes! A Weapon Shop?! arbeiten und gibt mir, obwohl sich mein Spaß zunehmend in Grenzen hält, trotzdem das Gefühl, nicht mehr damit aufhören zu wollen. Wie macht es das? Indem es mir das Gefühl gibt, etwas geschafft zu haben. Die Waffen sind begehrt. Ich bekomme Geld, ein Lob auf Whet’s Up – zumindest mein Belohnungszentrum scheint voll darauf abzufahren.
Kann ich Holy Potatoes! A Weapon Shop?! guten Gewissens empfehlen? Auf jeden Fall. Das Spiel frisst nur Zeit, kein Geld. Es macht Spaß, solange man aufpasst, dass es nicht ins Zwanghafte abgleitet, aber selbst dann nimmt man keinen Schaden (außer vielleicht Schlafentzug). Nur schraubt die Erwartungshaltung runter. Es ist nicht witzig, es ist nicht anspruchsvoll. Es kann sein, dass es schnell langweilig wird. Und für die rund 15 Euro, die das Spiel gegenwärtig kostet, bietet es zwar viele Stunden Spielzeit, aber wenig Nährwert – nur Kartoffeln ohne Beilage sind eben keine ausgewogene Ernährung. Für alle, die hingegen voll auf die Kartoffelidee abfahren und gar nicht genug davon bekommen können, gibt es noch zwei weitere Spiele aus dem gleichen Universum: die Weltraumstrategie Holy Potatoes! We’re in Space?! und die Kochshowsimulation Holy Potatoes! What the Hell?!. Ich kaufe derweil einen Interrobang. Und spiele demnächst wieder etwas anderes.