Nach den letzten Spielen, die ich hier rezensiert habe, könnte man meinen, das einzige Genre, in dem ich mich wohlfühle, sind mehr oder weniger gruselige Walking Simulatoren, in denen man nicht viel zu tun hat, außer durch die Gegend zu laufen und ab und zu mal irgendwas relevantes anzuklicken. Das stimmt natürlich nicht – aber für jemanden mit einer geringen Frustrationstoleranz wie mich ist das Schöne an Walking Simulatoren, dass man sich nicht in ihren festfahren kann. Hat man einmal angefangen, sie zu spielen, hält einen höchstens die eigene Langeweile davon ab, das Spiel auch zu beenden. Aber ab und zu möchte ich auch ein bisschen gefordert werden, um umgekehrt auch das Gefühl zu bekommen, etwas geschafft zu haben. Puzzlespiele bieten sich da an, gerne auch kniffeliger – bloß, die meisten Puzzegames haben nur wenige hundert Megabyte, und die Festplatte ist voll, mal wieder, und da ich Spiele eigentlich nur dann deinstalliere, wenn ich sie durchgespielt habe. Also: Ich suche ein schaffbares Spiel, das meinen Kleinen Grauen Zellen schmeichelt und hinterher zehn Gigabyte Speicherplatz freischaufelt.
Im letzten Jahr bin ich auf diese Weise bei Pneuma – Breath of Life gelandet, dem philosophischen Rätselspiel mit dem geschwätzigen Gott, das ich, Schande über mich, nicht weitergespielt habe, nachdem einmal die Rezi online war. Und gut, ich könnte das auch endlich mal zuendespielen, aber ich will auch jede Woche ein bis zwei neue Rezis schreiben, und ich schreibe grundsätzlich nicht zweimal über das gleiche Game. Aber der Zufall will es, dass The Turing Test, bei dem ich dann stattdessen gelandet bin, von den gleichen Machern ist wie Pneuma – und das merkt man dem Spiel auch an, im Guten wie in Schlechten, wobei das Schlechte sich hier tatsächlich auf die Frage beschränkt, wie ein nicht entsetzlich langes Spiel mit nicht entsetzlich anspruchsvollen Graphiken zehn Gigabye Festplatte fressen kann – und ein paar technische Probleme, auf die ich noch separat zu sprechen komme,
In der Tradition von Portal geht es auch in auch The Turing Test darum, mittels technischem Spezialgerät Rätsel zu lösen, um von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Hier schiebt, trägt, schießt man Energiekugel durch die Gegend, belegt Trittschalter und kontrolliert große Magnete, um Türen zu öffnen, Brücken zu schlagen oder Aufzüge zu betreiben – ein simples und leicht zu lernendes Konzept, aus dem sich in sieben Kapiteln und insgesamt siebzig Leveln immer komplexere Rätsel konstruieren lassen. Zu meinem Glück erfordern die allermeisten Level nur Hirnschmalz und nicht auch noch Geschicklichkeit und Timing, denn das sind die Dinge, die mir so ein Spiel oft schnell wieder verleiden – wenn ich punktgenau springen und rennen möchte, spiele ich einen Plattformer (oder, überlicherweise, lasse es bleiben), aber ich hasse es, wenn ich die Lösung eines Rätsels längst durchschaut habe, aber an der praktischen Umsetzung scheitere, weil ich nicht schnell genug bin.
Beim Turing Test befindet man sich in der Tradition klassischer Rätsel wie »Ziege, Wolf und Kohlkopf«: Es kommt auf die Reihenfolge an, mit der man die Schalter betätigt, und auf die Frage, wer sich wann wo befindet. Allerdings haben Fehler hier, anders als für den Kohlkopf, keine Konsequenzen – man kommt aus jedem Raum auch wieder raus, und wenn nicht, dann, weil man nie wieder auf die andere Seite muss. Es ist zwar möglich, jedes Level neu zu starten, aber das war bei mir nur einmal nötig, als ich versehentlich aus der Wirklichkeit hinaus geglitcht bin und ziellos durch die Schwärze schwebte, ohne zu wissen, ob das nun zum Spiel gehörte oder nicht (Spoiler: Tut es nicht). Viele der Rätsel erfordern es, um die Ecke zu denken, aber nichts ist unzumutbar schwer, unfair oder unlogisch.
Ein Level habe ich aus Versehen gelöst, als ich beim Versuch, mit roher Gewalt einen Energiewürfel aufzubrechen (Spoiler: Es ist nicht möglich) immer und immer wieder ein Falltor darauf habe niedergehen lassen, bis mir aufging, dass die eigentliche Lösung darin besteht, auf diese Weise einen Spalt unter der Tür zu erzeugen. Nur an drei Stellen musste ich irgendwann auf Walkthroughs zurückgreifen: Beim ersten, ganz am Anfang des Spieles, hatte ich schlichtweg übersehen, dass sich zwei Fenster darin unterschieden, dass eines eine Scheibe hat und das andere nicht, und nach dem vergeblichen Versuch, durch das rechte Fenster zu greifen, es beim Linken gar nicht erst versucht hatte. Das war eine Lektion für mich: Nichts als gegeben voraussetzen. Alles ausprobieren. Immer überall umschauen. Irgendwas übersieht man. Und die meisten Level habe ich wirklich sehr, sehr schnell knacken können. Dass ich dann trotzdem noch zwei Musterllösungen konsultieren musste, war nur meiner Ungeduld geschuldet:
Bei einem Level, wo es tatäschlich auf Geschicklichkeit ankommt, hatte ich zwei Lösungsansätze, scheiterte stundenlang an beiden, und wollte herausfinden, auf welchen der zwei ich mich zu konzentrieren hatte (dankeswerterweise war es der Schaffbarere der beiden). Und beim letzten Level hatte ich zwar alles richtig gemacht, den richtigen Lösungsweg entdeckt und alles am richtigen Ort – nur einen winzigen, aber entscheidenden Zusammenhang nicht durchschaut. Und könnte mich jetzt in den Hintern beißen, es nicht noch die halbe Stunde länger versucht zu haben, bis ich selbst drauf gekommen wäre, aber es war Nacht und kurz vor dem Schluss und ich wollte es hinter mir haben ace;…
Aber knackige Rätsel allein machen noch kein Spiel, jedenfalls keines von zehn Gigabyte oder mit philosophischem Anspruch. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, was den Menschen von der Maschine unterscheidet. Ein Turing Test ist ein theorethisches Konstrukt, bei dem es darum geht, anhand unterschiedlicher Denkmuster und Problemlösungsansätze den Menschen vom Computer zu unterscheiden. Und genau darum geht es auch im gleichnaminge Spiel: Die Besatzung einer Forschungsstation auf dem Jupiter-Mond Europa hat erst zu tief gebohrt und ist dann verschwunden, und TOM, die immer freundliche KI, kann nicht zu ihnen durchdringen, weil sie die Station dahingehend umgebaut haben, dass nur ein Mensch die Türen öffnen kann. So wird die Ingenieruing Ava, die unnötigerweise auch noch Turing mit Nachnamen heißt, aus ihrem Kälteschlaft geweckt, um sich auf die Suche zu machen und ins Herz der Station vorzudringen.
Und ich bin ja nicht blöd, sonst würd ich ja keine Puzzlegames spielen. Ich traue TOM nicht, der zu sehr klingt, als wolle er sich ein Zubrot als als HAL 9000-Stimmenimitator verdienen. Und natürlich – das ist so offensichtlich, dass es kein Spoiler ist – habe ich Recht. Computern darf man nicht trauen. Aber dankenswerterweise ist das auch gar nicht die Frage, und das Spiel nicht mit dieser Erkenntnis zuende. Denn man darf nicht vergessen, dass man Menschen genausowenig trauen darf. Und so lebt das Spiel in weiten Teilen von den Dialogen zwischen der zunehmend skeptischen Ava und dem sich rechtfertigenden und erklärenden TOM, und auch wenn manches ins Schwafelige abdriftet, weil man sich den Teil auch selbst hätte denken können, sind das durch die Bank starke Momente. Anders als bei den Monologen des aufgekratzten Junggottes in Pneuma hat das Spiel hier wirklich etwas zu sagen, ohne sich ständig zu wiederholen, und die guten Voiceactors und knackigen Dialoge machen The Turing Test sehr lebendig.
Stellenweise haben es die Macher von Bulkhead Interactive mit dem Realismus allerdings übertrieben. Die Audiodateien, die man unterwegs findet und aus denen man sich das Schicksal der Besatzung zusammenreimen kann, klingen allesamt so, als ob die Sprecher in Raumanzügen stecken – ihre Stimmen sind gedämpft und verrauscht, nur TOMs Kunststimme ist immer klar zu verstehen. Untertitel, wie man sie sich für die Dialoge zuschalten kann, gibt es für diese Audiodateien nicht, und wer jetzt nicht ganz so firm im Englischen ist oder Hörprobleme hat, hat es schwer zu erfahren, was überhaupt vorgefallen ist. Deutlich seltener gesäht sind Briefe, E-Mails und Logbücher – aber hier offenbart sich eine Schwäche des Spiels: Lange, nachdem ich das Log des Doktors gelesen – und seine eingestreuten russichen Begriffe im Wörterbuch nachgeschlagen – habe, in denen er beschreibt, wie er entdeckt, dass alle Menschen auf Europa von ihrem Mutterkonzern mit Implantaten versehen worden sind, die ihre Handlungen und Denkmuster kontrollieren, verhält sich Ava, als hätte sie von diesen Implantaten noch nie etwas gehört.
Und auch sonst ist das logische Konstrukt des Spiels wackelig: Zu einem späteren Zeitpunkt der Handlung müssen Ava und TOM nämlich zusammenarbeiten, um weiterzukommen, und das ist derart problematisch, dass ich es jetzt trotz Spoiler ansprechen muss. Da hat sich also die Bodencrew verschanzt, damit TOM sie nicht erreichen kann, und dann Schlösser konstruiert, die ohne TOM nicht zu öffnen sind – was soll das? Es macht großen Spaß, zwischen Ava und diversen Überwachungskameras und Robotern hin und her zu schalten und öffnet völlig neue Puzzlemöglichkeiten: So kann Ava nur dann an TOM übergeben, wenn sie ungehinderte Sichtlinie zu ihm hat, währen TOM jederzeit die Kontrolle an Ava zurückgeben kann, so dass es, wie schon in Pneuma, immer auf den Blickwinkel ankommt. Und durch diesen Kniff beginnt der Spieler ab einem gewissen Punkt, sich auch mit TOM zu identifizieren, am Ende vielleicht mehr als mit Ava selbst, weil die KI die besseren Argumente hat und man nicht vergessen darf, dass Menschen doof, kurzsichtig und unzuverlässig sind.
Nach gut zwölf Stunden Spielzeit kann ich sagen: The Turing Test handelt von den Versuchen, einen mächtigen Computer in die Knie zu zwingen, bzw. um den Kampf des Rechners ums Überleben. Und bei diesem Rechner handelt es sich nicht um TOM. Nein, es hat den H.I.V.E. erwischt, meinen gut zwei Jahre alten Gaming-Boliden. Grundsolides Stück. Immer noch leistungsstark. Hat nie mit irgendeimem Spiel Probleme gemacht – bis The Turing Test kam. Die ersten Male über ließ das Spiel sich auch ganz normal starten und lief wie eine Eins. Bloß, ich setze mich selten zwölf Stunden am Stück vor ein Spiel, insbesondere, wenn man nach jedem Level aufhören kann – ich spiele dann ein Stündchen oder so, und gut ist. Bloß, beim dritten Anlauf ließ sich das Spiel nicht mehr starten und hing sich auf, wenn ich versuchte, den Spielstand zu laden. Hing sich so nachhaltig auf, dass ich keine Wahl mehr hatte, als den Rechner über den Powerknopf abzuschießen (einmal habe ich es zwar über den Taskmanager abschießen können, aber auch danach operierte der Rechner nur im Schneckenmodus und kam um einen Reboot nicht herum).
Abhilfe bot erst die alternative Möglichkeit, das Spiel im DX12-Modus zu starten. Das klappte zweimal wie am Schnürchen: Danach nicht mehr. Dann wurde zwar für zwei Sekunden hinter dem Spieletitel in Steam das Wort »running« angezeigt – doch es tat sich nichts, kein Spiel startete, und das »running« verschwand ereignislos wieder. Unterm Strich muss ich sagen, ich habe mindestens so viel Zeit mit Versuchen, das Spiel ans Laufen zu bekommen, verbracht, wie mit dem Spiel selbst. Immer, wenn ich einen Workaround hatte, der funktionierte, tat der es beim nächten Mal nicht mehr, wie »Das Spiel starten, auf Continue klicken, den Rechner per Tastendruck in den Hibernate-Modus schicken, wieder wecken, Spielstand ist geladen«. Ich habe die Festplatte gescannt und Fehler behoben, mit der Systemwiederherstellung experimentiert, das Spiel de- und neuinstalliert – immer wieder startete es genau einmal. Eine Lösung sieht anders aus. Und während Ava und TOM sich gegenseitig Frikadellen an die Backe laberten, kämpfte ich meinen persönlichen Kampf um das Leben des H.I.V.E.
Irgendwann erfreute mich der Rechner mit der Info, dass Windows dem Spiel verboten hätte, auf die Graphikkarte zuzugreifen, und The Turing Test crashte mit einer Fehlermeldung, die sich auf eine Zeile in einer Datei bezog, deren Pfad nicht existierte und die nirgendwo auf meinem Rechner zu finden war (ich vermute: das war eine Adresse auf dem Rechner der Entwickler, wo der vorkompilierte Code zu finden ist). Und nur, weil ich das Spiel wirklich, wirklich, wirklich gut fand und wissen wollte, wie es ausgeht, habe ich an der Stelle nicht einfach den Schlussstrich gezogen und mich darauf beschränkt, eine »Angespielt«-Rezi zu schreiben. Ich wollte es durchspielen, und ich habe es durchgespielt. Die letzten zwei Kapitel des Spiels schafft ich endlich, nachdem ich den Graphiktreiber deinstalliert und durch eine andere Version ersetzt, alle Graphikeinstellungen zurückgesetzt und neu konfiguriert hatte – einmal im normalen UE4-Modus lauffähig, danach immerhin noch auf DX12.
Je nachdem, wie der Spieler sich entscheidet, gibt es zwei verschiedene Enden, und beide sind bitter und tun weh – es gibt kein Richtig oder Falsch in diesem Fall, es fühlt sich immer an, als hätte man sich besser anders entschieden, und das ist gut. Allein für diese Ambivalenz lohnt sich The Turing Test. Und auch sonst gibt es hier eine klare Kaufempfehlung von mir. Das Spiel – aus unerfindlichen Gründen auf Steam erst nach Eingabe des Geburtstags sichtbar, wie sonst nur bei den brutalsten aller Splatterspiele – kostet gegenwärtig um die zwanzig Euro, was für ein Spiel dieser Länge im oberen Preissegment ist, kann sich aber durchaus auch zum Vollpreis lohnen, wenn man Rätsel, Geduldsspiele und philosophische Überlegungen mag. Nach allem, was ich herausgefunden habe, waren meine PC-Probleme bei dem Spiel eher ein Einzelfall. Und wem der Schluss zu negativ ist: Man darf nicht vergessen, dass auch des Ende von »Ziege, Wolf und Kohlkopf« von der ambivalenten Sorte ist, zumindest, wenn man es aus Sicht des Kohlkopfs betrachtet. Ob ihn nun die Ziege frisst oder der Bauer – kommt es darauf wirklich noch an?