Immer auf der Suche nach einem Shooter, den ich auch mit meinen Einschränkungen in Sachen Koordination und Frustrationstoleranz schaffen kann, habe ich mir ein Stündchen mit Singularity gegönnt. Und ich muss sagen, es war eine schöne Stunde, der weitere folgen werden – Singularity ist ein Spiel, bei dem manche Sachen haarsträubend daneben sind, das aber sehr, sehr viel richtig macht. Auf der vor Jahrzehnten verlassenen und selbstverständlich verstrahlten sowjetischen Forschungsinsel Katorga12 findet man die üblichen Mutanten, die mit verschiedenen Schusswaffen abgeknallt werden müssen, Zeitmanipulation, unmotiviert herumliegende Tonbandgeräte, und ein paar echte Schrecksekunden. Und auch wenn es nicht gerade einfach ist, komme ich doch gar nicht so schlecht voran.
Ich unterscheide bei Shootern im Wesentlichen zwei Arten: diejenigen, bei denen der Hintergrundplot nur ein Alibi ist für ein fröhliches Rumgeballere, und solche, die tatsächlich versuchen, eine Geschichte zu erzählen. Neben deutlich bekannteren Beispielen wie dem System/Bioshock-Universum, gehört auch Singularity klar in die zweite Kategorie. Die verlassene Stadt wimmelt nicht von Monstern, aber die paar Mutanten, denen man in der ersten Stunde begegnet, sind strategisch optimal platziert, kündigen sich akustisch an, ehe man sie sieht, und erschrecken trotzdem gewaltig, wenn sie plötzlich vor einem stehen. So gern ich um mich schieße, bin ich hier doch froh, dass es nicht mehr Monster sind. So schafft es Singularity, eine Atmosphäre verfallenen Grusels aufrechtzuhalten, in der mehr Mutanten nur stören würden – und überhaupt, mit den billigen Popelmutanten, denen man sonst am Anfang eines Spiels zu tun hat, haben diese wenig zu tun. Dafür sind sie viel, viel zu tough und machen, wenn sie treffen, viel zu viel Schaden.
Ich habe eine Reihe von Screenshots gemacht, kann aber keinen der Gegner zeigen, weil ich dann jeweils zu sehr damit beschäftigt war, nicht zu sterben, während ich mein Magazin in sie entleere. Sie stehen direkt vor mir, keine Chance, vorbeizuschießen, aber wo ich in anderen Gegnern ein, zwei gezielte Schüsse brauche, um einen Mutanten niederzustrecken, wenn ich den Scheißer nicht gleich mit meinem getreuen Schraubenschlüssel niederknüppele, gehen hier fünf, sechs Schuss drauf, für einen einzigen Gegner, das Nachladen dauert viel zu lange, und während sie auf mir rumtrüffeln und nicht zu verachtend wehtun, fehlt mir die nötige Ruhe, auf ihre Köpfe zu zielen. Ich weiß, ich wollte einen Shooter spielen. Aber hier könnte ich eigentlich auf alle Gegner verzichten, herumschleichen und mich gruseln. Das Spiel taugt nämlich ebensogut als Walking Simulator für verblassten Sowjetglanz taugen. Vergesst Pripjat, auf nach Katorga12!
Liebevoll wurden Plakate, Lenin-Statuen, Illustrationen im typisch russischen Stil, und die dazu passende Architektur auf der Insel platziert, natürlich alles ziemlich kaputt, aber trotzdem: Für die Atmosphäre gibt es Punkte. Leider geht damit einher die größte Schwäche des Spiels: Es ist zu russisch. Die Tonbandaufnahmen, die man findet, sind allesamt auf Englisch mit starkem russischen Akzent – sowas nervt mich. Entweder, Russen sprechen Russisch, das dann erwartungsgemäß akzentfrei, und wer kein Russisch versteht, hat Pech gehabt. Oder man übersetzt das Ganze ins Englische – dann aber bitte auch ohne Akzent, denn diese Leute haben bei den Aufnahmen ihre Muttersprache gesprochen. So wirkt es genauso unerträglich wie der Film Moulin Rouge von 1952, in dem jeder, wirklich jeder, Akteuer mit französischem Akzent spricht, um zu zeigen, dass der Film in Frankreich spielt. Und dann ist da noch die Sache mit der kyrillischen Schrift.
Die Beschriftungen an Gebäuden und auf Plakaten sind nicht auf Russisch gehalten, sondern auf Englisch, aber damit man sieht, dass es russisch sein soll, sind alle R’s und N’s spiegelverkehrt, denn klar, Kyrillisch ist Spiegelschrift, weil die Russen beim Saufen links und rechts durcheinanderbringen. Das sieht stylisch aus, blöd ist es nur, wenn man kyrillisch lesen kann. Das spiegelverkehrte R ist kein R, nicht mal im Entferntesten – der Buchstabe Я wird »Ja« gesprochen. Das macht dann aus Singulaяity, so die offizielle Schreibweise des Titels, ein fröhlich gejodeltes »Singulajaitu«, und der Name der Insel wird zu Katojaga, was immerhin nicht schlecht klingt. Aber wenn dann auch noch Ziel-Hinweise, die nur für den Spieler sichtbar eingeblendet werden, in pseudo-kyrillischer Schrift verfasst sind, wirkt das zwar konsequent, aber vor allem bemüht. Und beknackt. In diesen Momenten wird fühlbar, dass das Entwicklerstudio mitnichten im Ostblock sitzt, sondern in Madison, Wisconsin.
Aber ich will mich wirklich nicht beschweren. Es ist ein schönes, spielbares Spiel. Die Steuerung ist intuitiv für jemanden, der schon andere Shooter gespielt hat, und wenn etwas nicht auf der gewohnten Taste liegt, kann man das entsprechen umkonfigurieren. Sollte ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, aber zu viele Versuche der letzten Zeit haben mir gezeigt, dass das leider nicht immer so ist. So scheitere ich zumindest nicht an der Steuerung. Was mir fehlt, ist die Möglichkeit, das Spiel selbst zu speichern. Ich hasse Speicherpunkte, aber man findet im Shooterbereich kaum noch Spiele, die den Spieler selbst speichern lassen. Ich will nicht schummeln oder es mir unnötig einfach machen – und selbst wenn, wäre das meine eigene Entscheidung – aber ich hasse Spiele, die mir vorschreiben, wie lange ich zu spielen habe. Ich kann Shooter nicht stundenlang spielen. Oft habe ich nach zehn Minuten genug, vor allem, wenn es dazu auch noch gruselig ist. Ich will Schluss machen können, wenn ich genug habe, und nicht noch zwanzig Minuten weitermachen müssen, nur weil die Speicherpunkte so dünn gesäht sind.
Autospeichern ist toll für Leute, die vergessen, dass ihr Lebensmotto eigentlich »Safe early, safe often« sein müsste und die sich ärgern, wenn sie sterben und zuletzt vor zwei Stunden gespeichert hatte. Bietet beides an: eigene Spielstände plus Autospeicherung an bestimmten neuralgischen Punkten. Ich zahle kein Geld für ein Spiel, nur damit es mich ärgert. Und noch frustrierender als Speicherpunkte, die zu lange zurückliegen, ist, wenn das Spiel just dann speichert, wenn man es nicht brauchen kann. Munition ist in Singularity dünn gesäht, aber mit einer »out off ammo«-Warnung weiterlaufen zu müssen und Ängste ausstehen, dass gleich der nächste Gegner um die Ecke kommt, weil die einzige Alternative ist, von vorn anzufangen, weil das Spiel mit dem Tod des letzten Monsters und dem Verschießen der letzten Kugel den einzigen Spielstand überschrieben hat, ist ätzend. Ich habe zum Glück kurz danach eine Schnellfeuerwaffe inklusive Muni gefunden und danach auch ein paar Kugeln für den Revolver. Aber danach war für mich die Luft raus. Ich habe noch bis zum nächsten Speicherpunkt gespielt und dann beendet.
Mein Fazit nach einer Stunde? Macht Lust auf mehr. Vor allem wegen der Atmosphäre macht das Spiel Spaß – wenn man in einem verlassenen Haus ist, ein Kind lachen hört und dann ein einsamer Gummiball die Treppe hinunterhüpft, ist das genau die Art Grusel, die ich mag, mit vielen Andeutungen und ohne bluttriefende Jumpscares. Dass man ab und zu Visionen aus der Vergangenheit hat, ist nett, und die Veränderung der Vergangenheit wird nicht überstrapaziert – in der ersten Stunde hatte ich nur eine Zeitreise, habe einem Forscher das Leben gerettet und konnte mich hinterher darüber freuen, dass sich auch die Texte der Tonbandaufnahmen entsprechend geändert hatten und ich als unbekannter Held, der aus dem Nichts gekommen ist, gefeiert wurde. Immer dann, wenn Singularity subtil ist, ist es gut. Immer dann, wenn es einem ins Gesicht springt, nicht. Ich werde es weiterspielen. Laut Steam-Kritiken sollte es mit zehn bis zwölf Stunden Spielzeit zu schaffen sein. Schauen wir mal, wie lang ich brauche.