Die Jahreszeit ist kalt und dunkel, und bei dem Wetter fühle ich mich mit dem Laptop im Bett besser als an meinem Schreibtisch – auch, wenn ich ein bisschen zocken möchte. Nur ist der neue Läppi kein Gamingbolide und soll das auch gar nicht sein, er ist ein Schreibwerkzeug, nicht mehr und nicht weniger. Aber Casual Games laufen selbst auf einer Kartoffel, und ein Casual Game ist das, was ich gerade brauche, wo mir die Aussicht auf »Baldurs Gate 3« oder »Atomic Heart« schlichtweg zu viel ist. Auch wenn ich mir fest vorgenommen habe, im neuen Jahr wieder mehr zu spielen – dieses Jahr lasse ich ruhig ausklingen.
Niedliche Tiere über eine aufblühende Hexfeldlandschaft hüpfen lassen, dabei noch die kleinen grauen Zellen anstrengen – das klingt kuschelig oder, um das Schlagwort des Jahres zu verwenden, cosy, und damit kann ich ein paar nette Stunden verbringen. So bin ich bei »Growth« gelandet, einem netten kleinen Strategiespiel mit roguelike Elementen. Roguelike ist das Spiel deswegen, weil man in seinen ersten Durchgängen nicht weit kommt, aber mit jedem beendeten Spiel neue Elemente freischaltet, die man beim nächsten Mal brauchen kann und die einen dann weiterbringen – so lange, bis es nicht mehr weitergeht.
In »Growth« bildet man Habitate, Lebensraum für eine oder mehrere Tierarten, indem man mit seinen Tieren ein Hexfeld erkundet. Landet man dabei auf einem Feld, das an ein bestehendes Habitat angrenzt, erobert man es, ebenso kann man, indem man zwei angrenzende leere Felder einnimmt, ein neues Habitat bilden – wobei »erobern« und »einnehmen« jetzt unnötig martialisch klingen. Man geht hin, fertig. Und so beschränken sich die Fähigkeiten der verschiedenen Tiere auch nur darauf, wie und wie weit sie sich bewegen können. Das Spiel ist simpel vom Konzept her, dank Tutorial schnell gelernt, macht zehn Stunden lang großen Spaß und lässt dann rapide wieder nach.
Anfangs hat man nur Hirsche und Wildschweine. Beide leben im Wald, wobei man einen Wald von mindestens sechs Feldern Größe braucht, um ein Wildschwein zu bekommen – für den Hirsch hingegen reichen schon zwei Felder Wald aus. Dafür bewegt sich der Hirsch nur drei Felder weit, währdend das Wildschwein fünf schafft. Auch der Aufklärungsradius der Schweine ist größer als jener der Hirsche. Ich setze also gerne in unbekanntem Terrain meine Aufklärungssau ein. Sehe ich dabei ein neues Habitat, schicke ich ein zweites Schwein hinterher, bekomme ein neues kleines Habitat für einem Hirsch, und kann von da aus weiterziehen.
Dabei arbeitet man immer mit einem Pool von Tieren, die von jedem geeigneten Habitat aus weiterziehen können. Ich muss also nicht nachhalten, welcher Hirsch gerade wo ist – von jedem zwei Feld großen Wald aus kann ich meine Hirsche losschicken, von jedem sechs Feld großen meine Wildschweine. Bloß, ein Tier, das ich ausgeschickt habe, ist erstmal weg. Dafür bekommt man neue Tiere für gegründete, gefundene oder vergrößerte Habitate. Ich tausche also strategisch Hirsche gegen Wildschweine, aus denen dann wieder Hirsche werden. Hat man keine Tiere mehr, ist das Spiel vorbei. Und das geht am Anfang ziemlich schnell.
Nach und nach spielt man weitere Tiere frei. Da gibt es Bienen, die können kleine Gewässer überqueren, Ziegen, die über Berge hüpfen können, und Enten, die über eine geschlossene Wasserfläche beliebig weit bis zu deren Ende reisen können. Die brauchen dann natürlich auch ihre eigenen Habitate, um starten zu können, wobei man an jedes Habitat anbauen kann: Zwei Bienenstöcke an den Wald getackert, schon ist das auch ein Bienenhabitat, und so weiter. Es lohnt sich immer auch, nah beieinander liegende Habitate zu verbinden, um ein großes zu haben: Das gibt nicht nur mehr Tiere, darunter die begehrten Wildschweine, sondern ermöglicht auch den Spezialisten Biene, Ente und Ziege, sich näher an das Hindernis ranzumanövrieren.
Dazu kommen drei Bonus-Tierarten: Vögel können ein kleines Gebiet aus der Luft aufklären, Fledermäuse in einem etwas größeren die Bergketten erahnen, und Biber ein Berg- oder Wasserfeld planieren, so dass auch ein Fußgänger wie der Hirsch es überqueren kann. Damit kommen wir dann auf die acht verschiedenen Tiere, mit denen das Spiel wirbt – ich würde die Bonus-Tiere aber nicht als vollwertige Tierarten zählen. Man bekommt so selten mal einen Vogel, viel zu wenige Biber, und die Fledermäuse vergesse ich immer zu benutzen und schaffe das dann auch ohne.
Dabei wird das Spielfeld immer größer: Hat man genug vom ersten sechseckigen Feld erkundet, wird angrenzend das nächste freischaltet, und so weiter, bis man über sein Startfeld hinaus alle angrenzenden Sechsecke erkunde hat. Dann öffnet sich das achte und letzte Feld, in dessen Mitte der Vulkan wartet, und wenn man den erreicht hat, ist das Spiel beendet. Dieses Endspiel ist letztlich der spannendste Teil des Spieles, denn hier müssen alle Tiere zusammenarbeiten. Es gibt Lavaflüsse, die keines der Tiere überqueren kann, man muss durch eine Art Labyrinth navigieren, und man muss schon ein bisschen um die Ecke denken, um die Ziegen, ohne alle zu verlieren, dorthin zu bringen, wo es über den Berg geht – Habitate verbinden ist das Zauberwort. Hex Hex!
Aber spätestens, wenn man einmal im Endspiel angekommen ist, kann man nicht mehr verlieren. Nicht nur beherrscht man bis dahin die Spielmechaniken aus den ersten sechs oder so verlorenen Partien, es gehen einem auch nie mehr die Tiere aus, weil man einfach so viele von denen, die man braucht, findet. Und nachdem ich einmal den Vulkan erreicht habe – was als letztes Tier immer eine Ente erfordert, so dass das dazugehörige Steam-Achievement auch den Namen »Quackatoa« trägt – habe ich ihn zuverlässig mit jedem Durchgang erreicht. Die werden nämlich, weil man immer mehr Elemente für die Karte freispielt, immer und immer einfacher. Und das nimmt dann leider den Langzeitspielspaß raus.
Muss man anfangs mit nur drei Points of Interest auf der Karte starten – freizuspielenden Habitaten, in denen man nicht nur mehr Tiere bekommt, sondern auch eine Chance auf Vogel, Biber oder Fledermaus hat – bekommt man auf die Dauer fünf davon, und besser als die Anfangs-POIs sind sie außerdem. So fängt das Spiel durchaus knifflig und herausfordernd an und lässt dann zunhemend nach. Ein Roguelike-Spiel sollte man eigentlich nicht durchspielen können. »Growth« hingegen, wenn ich einmal auch den letzten POI freigeschaltet habe (für das Überqueren von tausend Hindernissen) und dabei alle Steam-Achievments gesammelt, werde ich deinstallieren.
Trotzdem bekommt das Spiel eine klare Empfehlung von mir. Andere Spiele werden ja auch zunehmend einfacher, wenn man Level sammelt und nicht mehr dauernd stirbt, und wenn man nur zehn Stunden Spaß mit »Growth« hat, sind das immer noch zehn schöne Stunden – für ein Spiel, das zum Vollpreis nur rund zehn Euro kostet, ist das eine gute Geld/Zeit-Ratio, und ich habe es in einem Bundle für nochmal eine ganze Ecke weniger bekommen. Wer Spaß hat an Spielen wie »Dorfromantik« und damit leben kann, dass es eben irgendwann vorbei ist, der wird mit »Growth« eine schöne Zeit haben.
Aus dem Namen des Achievements für 25 entsendete Biber, »Beaver Brothers«, hatte ich schon vermutete, dass es sich um ein deutsches Entwicklerstudio handeln müsste, denn nur hierzulande hieß die Zeichentrickserie »The Angry Beavers« »Biber-Brüder«, und wirklich, das Team von Voodoo Duck sitzt in Duisburg. »Growth« ist, soweit man das sehen kann – ihre Webseite ist bis jetzt nur ein Platzhalter – ihr erstes Spiel, wird aber im Bundle mit dem ähnlich kuschelig aussehenden Hex-Puzzler »Land Above, Sea Below« von Glascannon Studios angeboten – einen Deal, den ich allen empfehle, die »Growth« nicht wie ich aus einem Bundle ziehen können.
Ich spiele jetzt noch weiter, bis ich alle Errungenschaften beisammen habe – ich bin eben ein Kompletist, auch wenn sich das Spiel zunehmend wie Arbeit anfühlt. Und vielleicht wage ich mich dann aus meinem Bett raus und spiele endlich wieder was richtiges. Die Tage werden ja bald wieder länger und heller, und ich habe mir sagen lassen, mein Arbeitszimmer ist beheizt. Die großen Spiele warten. Und im neuen Jahr will ich dann auch wieder regelmäßiger hier rezensieren. Bis das so weit ist, bitte ich mich zu entschuldigen. Ich hab noch einen Hirsch zu schubbeln.