Wenn man eine Bazillion Spiele auf Steam hat, ist es schon eine Auszeichnung für ein Spiel, wenn ich es überhaupt einmal gespielt habe, aber noch seltener kommt es vor, dass ich ein Spiel mehrmals spiele. Natürlich, es gibt ein paar, die ich öfters gespielt habe – Dragon Age: Origins habe ich zweimal direkt nacheinander gespielt, weil ich mit einer meiner Entscheidungen nicht zufrieden war, und kürzlich habe ich, um mich auf Return to Monkey Island vorzubereiten, noch mal The Secret of Monkey Island gespielt und den zweiten Teil, Something Something Monkey Island (ehrlich, wer kann die Titel noch auseinanderhalten?), angefangen.
Aber das sind Spiele, von denen wusste ich eigentlich immer, dass ich sie irgendwann noch einmal spielen würde. Nicht geplant war, noch mal zu einem Casual Game zurückzukehren, das ich vor neun Jahren innerhalb ein paar Stunden durchgespielt hatte – bis ich gestern gestgestellt habe, dass dieses Spiel bei mir doch einen schweren Eindruck hinterlassen hat, und das nicht nur, weil ich nach all den Jahren noch den Jingle davon als Ohrwurm habe. Und so spiele ich nun, während ich auf die Hardware meines neuen Rechners (Yay!) warte, zum zweiten Mal Little Inferno.
Little Inferno ist ein Spiel, bei dem man auf den ersten Blick nicht viel zu tun hat. Man zündet Dinge an und schaut zu, wie sie verbrennen. Und wirklich, das ist das einzige, was man tut. Anzünden und abbrennen, und aus dem Katalog Sachen bestellen, die man dann anzünden und abbrennen kann. Es ist auf verstörende Weise entspannend, dem Feuer zuzuschauen, in das man gerade einen Teddybären gesetzt hat. Und verstörend ist auch der Rest der Handlung – denn Handlung hat Little Inferno, auch wenn man nichts macht als Sachen anzünden.
Angesiedelt ist Little Inferno in einer düsteren Zukunft. Seit Ewigkeiten hat niemand mehr die Sonne gesehen, es ist bitterkalt, der Schnee fällt, und die Menschen sitzen isoliert in ihren Häusern und starren wie gebannt auf ihren Little Inferno™-Unterhaltungskamin, vermarktet von der Firma Tomorrow Corporation, die nur rein zufällig so heißt wie die Developer hinter dem Spiel. Der Himmel ist verhangen vom Rauch aus tausend Schloten, wie ihn Katja Ebstein bereits 1971 in ihrem ESC-Beitrag lamentierte, und ob die sonnlose Kälte ein nuklearer Winter ist oder tatsächlich von den Little Inferno-Kaminen selbst verursacht wurde, muss man für sich selbst entscheiden.
So sitzt man, ohne sich jemals auch nur umzudrehen, und starrt auf das beunruhigend freundliche Gesicht auf der Rückseite des Kamins, das ständig vor sich hin lächelt, was auch immer man den Flammen auch überantworten mag. Am Anfang hat man nur ein paar herausgetrennte Buchseiten, offensichtlich zensiert, und einen Brief zum Verbrennen, aber schon erhalten wir, ebenfalls von der Tomorrow Corporation, unseren ersten von insgesamt sieben Katalogen. Und schon sind wir im Kernspiel angekommen: Wir kaufen Sachen und werfen sie in den Kamin, wo sie Münzen freisetzen, mit denen wir dann mehr Sachen kaufen. Dabei gibt ein verbrannter Gegenstand immer mehr Geld, als er gekostet hat, so dass Geld niemals unsere Sorge sein muss.
Überhaupt, Sorgen – wir haben es doch warm! Zu spät verstehe ich selbst, dass ich Little Inferno zu einer Zeit spiele, in der Unsicherheit herrscht, wie wir heiztechnisch über den Winter kommen sollen, in der die Abhängigkeit von russischem Gas schmerzlich bewusst wird und wenig ferner erscheint, als einfach sinnlos Dinge abzufackeln. Ich will versuchen, das aus dieser Rezension rauszuhalten, das Spiel ist fast zehn Jahre alt, aber ansprechen muss ich das trotzdem zumindest einmal. Es macht das Spielen eines beklemmenden Spieles gerade nur noch beklemmender.
Zurück zum Spiel. Kontakt zur Außenwelt habe ich da nur in Form von Briefen, die zusammen mit meinen gelieferten Waren wie von selbst erscheinen. Erst ganz zum Schluss treffe ich auf den Postboten, der sich mit seinen Paketen durch den Schnee arbeitet und den ich nur am Geruch erkenne, weil ich mich nie auch nur nach ihm umgedreht habe. Und die Briefe ereilen das gleiche Schicksal wie die Inhalte der Pakete: Sie wandern ins Feuer, allerings erst, nachdem ich sie gelesen habe. Drei Personen sind es, die mit uns in Kontakt treten: Miss Nancy, Aushängeschild und PR-Tante der Tomorrow Corporation; der Wettermann, der oben aus seinem Wetterballon, über den Schornsteinen, über der Stadt, ein Wetter vorhersagt, das sich seit Jahrzehnten nicht mehr verändert hat, und ein Mädchen namens Sugar Plumps.
Und mit der verbindet uns bald eine Freundschaft, die jedoch ziemlich einseitig abläuft. Sie schreibt mir Briefe, die ich nicht beantworte und nicht behalte, nur manchmal, wenn sie etwas braucht, schicke ich es ihr aus meinem Sortiment. Dafür schenkt sie mir ein paar feuerfeste Vorhänge für meinen Kamin. Sugar Plumps ist meine Nachbarin, wie sich herausstellt, aber ich kenne sie nur aus ihren Briefen, ich habe das Haus noch nie verlassen, und unsere Freundschaft steht unter keinem guten Stern. Man darf nicht unterschätzen, dass Feuer gefährlich ist, selbst wenn der Little Inferno™-Unterhaltungskamin allen Sicherheitsvorschriften entspricht und sogar gezielt als Kinderspielzeug beworben wird. Es ist der Jingle des Werbespots, der sich auch nach neun Jahren noch durch mein Hirn wurmt. »It’s Little Inferno, it’s Little Inferno just for me …«
Nichts bedeutet mehr etwas. Die Dinge sind gemacht, um zu brennen. Ob Spielzeug, Bücher, ein Miniaturmond – alles ist unbelegt, erhält seine Bedeutung erst, wenn die Flammen daran lecken und sie zum Leben erwachen. Dann summen die Tiki-Idole in monotonen Tönen, der Wolf heult, der gelbe Bus fährt chaotisch hin und her, bevor er explodiert, bevor alles zu Asche verbrennt, und ich sitze daneben, stochere im Feuer herum und schiebe gedankenverloren die Glut hin und her. Ob ich kostbare Kleinodien verbrenne oder liebe Briefe, es ist egal. Einmal erhalte ich per Post von Miss Nancy einen Gutschein für eine Umarmung, aber auch der wandert ins Feuer, ich kann nichts mehr behalten, das ich ebenso gut verbrennen könnte. Und so verbrenne ich alles und sitze wie Frau Trude im Grimm‘schen Märchen mit versonnenem Lächeln vor meinem Kamin: »Das leuchtet einmal hell!«
Von Langzeitspielspaß kann man eigentlich nicht sprechen, zu schnell stumpft man ab gegen die prasselnde Wärme, und das Verbrennen fühlt sich schneller an wie Arbeit, als man meinen sollte, auch das Gefühl der Faszination lässt nach. Was mich als Spieler trotzdem bei der Stange hält, bis ich mich wirklich durch alle sieben Kataloge gekokelt habe, sind die Kombinationen. Die Liste lässt sich per Mausklick in der rechten oberen Ecke aufrufen – nur die Namen der Kombos, natürlich; was man da zusammen verbrennen muss, um das Schlagwort abhaken zu können, muss man schon selbst herausfinden. Dass man für »Pirate Bike« einen Piraten und ein Fahrrad kombinieren muss, liegt auf der Hand, aber was verbirgt sich hinter »Yellow Brick Road»? Oder »Legal Charges«?
Also kauft man dies und jenes, schmeißt es zusammen ins Feuer, und schaut, ob es das war. Anfangs ist das noch einfach, die Kombos haben sprechende Namen, und man hat nur wenige Artikel zur Auswahl, aber mit der Zeit wird die Liste immer länger, die Kombinationen immer abstruser, und ich habe nicht alles herausfinden können. Natürlich kann man das online nachschauen, aber so verdirbt man sich den Spaß, und es gibt auch nichts zu gewinnen, wenn man alle Kombos herausfindet: Steam Achievements hat das Spiel keine, und auch wenn ein paar von den Kombos nett anzusehen sind und die Dinge aufeinander zu reagieren scheinen, stumpft man auch hier ab, der Belohnungseffekt will sich irgendwann nicht mehr einstellen, und was ein netter Knobelspaß hätte werden können, wird mit der Zeit zäh, weil alles immer unintuitiver und abwegiger wird.
Zur Zähigkeit trägt noch zusätzlich bei, dass die Gegenstände immer länger und länger brauchen, bis sie geliefert werden. In das Kaminfeuer zu schauen, solange es brennt, mag noch ganz nett sein, aber auf einen kalten, leeren Kamin zu starren, in dem nur noch eine Handvoll Asche liegt, während man darauf wartet, dass endlich die bestellten Pakete da sind – das macht keinen Spaß. Man kann das abkürzen, indem man Coupons verwendet, mit denen die Lieferung dann sofort da ist, und wirklich, diese Coupons bekommt man nachgeschmissen: Dann hätte man sich das ganze System mit den Lieferzeiten auch sparen können. Das Spiel gewinnt nichts davon. Und wie Schikane fühlt es sich an, dass man zusätzlich – und diesmal nicht verkürzbar – warten muss, bis bestimmte Sachen überhaupt wieder lieferbar sind. Hängt man an einer schwierigen Kombination, bei der man sich bei einer Sache sicher ist, beim Gegenstück hingegen nicht, sitzt man unnötig wartend herum, bis man wieder bestellen kann.
Ich erinnere mich, dass mir das vor neun Jahren, bei meinem ersten Durchgang, ähnlich gegangen ist – das Spielkonzept bietet einfach zu wenig Abwechslung, und mehr als die einhundertvierzig Gegenstände, die man verbrennen kann, hätten es wirklich nicht sein müssen. Ich habe beim ersten Mal gut sechs Stunden gebraucht, bis ich alle Kombinationen herausgefunden hatte, diesmal nach vier Stunden aufgehört, weil ich schlichtweg das Interesse verloren habe. Vier, fünf, sechs Stunden sind keine schlechte Spielzeit für ein Casual Game, mit derzeit 12,49 Euro ist Little Inferno aber vergleichsweise teuer. Ich habe es seinerzeit mit 50% Rabatt bekommen, und das war es mir allemal wert – vor allem, wenn man bedenkt, wie lange es mich im Anschluss daran noch beschäftigt hat.
Es ist nicht nur der Ohrwurm, der bei mir hängengeblieben ist, sondern das ganze dystopische Setting, die Einsamkeit, die Hoffnungslosigkeit – und der in meinen Augen verunglückte Schluss. Hat man nämlich am Ende eine Kombination aus vier mysteriösen Gegenständen verbrannt, ist das Spiel mitnichten vorbei, sondern geht noch mal eine Viertelstunde lang weiter, diesmal als eine Art rudimentäres Point-and-Click-Adventure, beantwortet Fragen, die nicht hätten beantwortet werden müssen, und hinterlässt einen unnötig zerredeten Eindruck. Der Schluss zieht sich und zieht sich mit sinnlosem Herumlaufen, und vielleicht wollten die Devs das Ganze auf einer hoffnungsvollen Note beenden, aber das geht, zumindest bei mir, schief. Ein bitteres Ende mit vielen offenen Fragen hätte ich deutlich bevorzugt. Aber vielleicht hätte ich auch einfach den Gutschein für die Umarmung nicht verbrennen dürfen, den hätte ich nämlich am Schluss gebrauchen können, und vielleicht hätte ich dann ein anderes, besser zu mir passendes Ende bekommen können.
Trotzdem empfehle ich Little Inferno, wenn nicht als klassisches Spiel, dann als interaktives Erlebnis. Es ist mit nichts, das ich kenne, vergleichbar, und spielt sich, als hätte man »1984« mit einer dieser Kaminfeuer-DVDs, die man vor zwanzig Jahren überall angeboten gesehen hat, gekreuzt. Es lässt einen in die eigene Seele blicken, wenn das virtuelle Feuer seine ganz echte Faszination entfaltet, aber man muss nicht fürchten, sich davon in einen Pyromanen zu verwandeln, genau wie man vom Shooter nicht zum Amokläufer wird. Die Tomorrow Corporation hat seitdem zwei weitere Spiele auf den Markt gebracht, die niedliche Ästhetik mit düsteren Themen verbinden, Human Ressource Machine und 7 Billion Humans, beide habe ich noch nicht in meiner Bibliothek, aber sie sehen interessant genug aus, um sie im Hinterkopf zu behalten. Direkt neben dem Little Inferno-Jingle …