Je dicker ein Spiel aufträgt, desto geringer wird mein Interesse, es zu spielen – bis das Ganze kippt und ich Lust bekomme, es mir vorzunehmen, nur es dann in Grund und Boden verreißen zu können. Bei The Emptiness kamen Superlative auf beiden Seiten zusammen: Auf der einen Seite die die Macher des Spiels, die nicht müde werden zu betonen, dass ihr Game so über alle Maßen erschütternd ist, dass man es mit Herzproblemen oder einer psychischen Störung nicht spielen darf – und auf der anderen Seite Nutzerkritiken, die an dem Spiel kein gutes Haar lassen. Nur ein Drittel aller Steam-Rezensenten können der spielgewordenen Leere etwas Positives abgewinnen, und für knapp zehn Euro hätte ich es mir sicher nicht gekauft, aber nachdem ich es jetzt aus einem Bundle gezogen habe und nach meinem Holy Potatoes-Exzess wieder etwas schnell durchzuspielendes suchte, habe ich es mir jetzt vorgenommen, motiviert von der Aussicht auf einen knackigen Verriss.
Aber was soll ich sagen? So schlecht ist das Spiel gar nicht. Es ist, kein Zweifel, technisch Schrott. Es hat sehr, sehr, sehr viele Mängel. Es macht über weite Strecken keinen Spaß. Aber es hat seine Momente, und es hat es geschafft, mich zu gruseln. Und käme es nicht mit diesen völlig überzogenen Warnhinweisen an – so wie die Horrorfilme aus den 50ern, die erklärten, zu entsetzlich für ein zartbesaitetes weibliches Publikum zu sein, und mit ihren Pappmacheemonstern schon damals niemandem Angst eingejagt haben – könnte es das nette, kleine Spiel sein, das es ist. Denn in Wirklichkeit ist The Emptiness auch nur eines von vielen Wimmelbildspielen, die den Sprung von Bigfishgames nach Steam geschafft haben, und was das angeht, habe ich schon Schlimmere gesehen.
Die Handlung, um es mal als solche zu bezeichnen, lässt sich schnell zusammenfassen. Man findet sich in einem Haus wieder, das natürlich kein echtes Haus ist, sondern ein Symbol der Gefangenheit in der eigenen Seele, wo einem eine engelsgleiche und eine dämonische Gestalt (die undämonischste Dämonin, der ich jemals begegnet sind) erscheinen und einen Zaubersprüche finden lassen, um versiegelte Türen zu öffnen. Dazu läuft man durch das Haus, Raum für Raum, und sucht versteckte Buchstaben, öffnet die Tür, und löst zwischendurch ein paar Puzzle. Kein Wimmelbildspiel im klassischen Sinne, denn zum Wimmeln ist da viel zu wenig los, aber das englische Hidden Object Game trifft es besser.
Leider ist das Haus nicht entsetzlich groß. Mit jedem Level kommt ein neuer Raum hinzu, der aber auch mal nur ein kleines Gästeklo sein kann, und so läuft man immer wieder durch die immer gleichen Räume, in denen sich nichts verändert, und sucht in den immer gleichen Schränken und Ecken, ob diesmal eines der zu suchenden Zeichen da versteckt ist. So fängt das Spiel wirklich vielversprechend und durchaus atmosphärisch an, nutzt aber entsprechend schnell ab. Und wo ich mich am Anfang wirklch herzergreifend erschrocken habe, als plötzlich ein Jumpscare durch die Wand brach, wich das beklemmende Gefühl schnell einer wachsenden Aggression, weil das Spiel es darauf anlegt, seinen Spieler bis zum Gehtnichtmehr zu nerven.
Dass The Emptiness aus dem Jahr 2013 stammen soll, ist schwer zu glauben. Zum einen ist es im 4:3-Format gehalten – gab es im Jahr 2013 überhaupt noch Monitore in diesem Format? – zum anderen krankt die Navigation innerhalb des Spiels an genau den Elementen, die mich an dem inzwischen über zwanzig Jahre alten The 7th Guest so verrückt gemacht haben: Um durch das Haus zu laufen, taumelt und dreht man sich auf der Stelle, wartet mit jedem Schritt, jeder Drehung, jedem Zoom eine sich quälend lang anfühlende Sekunde, bis das Bild da ist, begleitet nicht von dem Geräusch von Schritten, sondern einem Fußbodenknarzen, als wälze sich anstelle eines Menschen ein Granitblock durchs Haus.
Das macht das Suchen extra-lästig: Hat man etwas übersehen und muss nochmal zurück, dauert es echt lange, bis man da angeokmmen ist: Vom Sofa aus nach links drehen, nochmal nach links drehen, ein Schritt in Richtung Küche, rechts drehen zum Küchentisch, zurück nach links drehen, dann noch ein Schritt zur Küchenzeile hin, knarz, knarz, knarz … Kommt dann eine Spukerscheinung hinzu, muss man warten, bis sie auch wirklich vorbei ist, bevor man sich weiterbewegen kann. So oft steht an der Wand »No Way Out« – es müsste besser heißen »No Escape«, denn die Escape-Taste ist in diesem Spiel ohne Funktion, nichts lässt sich überspringen, und man muss alles bis zum bitteren Ende anschauen, anhören, mitnehmen.
So kommen ausgerechnet die Jumpscares, die ich eigentlich als billigen Effekt verabscheue, hier gelegen: Sie sind schnell wieder weg. Und auch die weitgehende Abwesenheit von Musik geht auf die Nerven: Soundeffekte sind da, und nicht mal schlecht, wenn plötzlich jemand in der Nähe zu atmen scheint – aber Gruselspiele und -Filme ziehen so viel Grusel aus ihrer stimmungsvollen Musik, und hier ist auf die lange Sicht viel zu wenig los. Gut, ein Level lang ist ein Raum mit Spinnweben gefüllt. Und dreimal tappt man im Licht einer Taschenlampe durchs dunkle Haus – Sicherung kaputt, Kabel fehlt, und »Die Zeichen werden nur im Dunkeln sichtbar«: Einmal wäre es gruselig gewesen. Zweimal nervt. Dreimal wird es unerträglich.
Und auch, wenn in der Küche plötzlich ein Feuer brennt, ich endlich ein Gefäß gefunden habe, um Löschwasser aus dem Bad zu holen. nur um dann festzustellen, dass von einem Moment auf den andern ein Wasserrohbruch stattgefunden hat und ich erst noch eine Schraube, eine Mutter und einen Schraubenschlüssel finden muss (statt einfach mein Wasserglas an dem aus dem kaputten Rohr quellenden Wasser zu füllen) gehen mir zunehmend die Nerven. Es ist so anstrengend, sich durchs Haus zu bewegen: Wenn dann Gegenstände erst auftauchen, nachdem Bedingung X eingetreten ist, und man überall nochmal hin muss, schmälert das den Spaß doch gewaltig.
Vielleicht ist das auch der eigentliche Grund, warum Spieler mit psychischer Vorerkrankung einen Bogen um The Emptiness machen sollen – man möchte verhindern, dass ihnen vor Frust alle Sicherungen durchbrennen und sie zur nächsten Axt greifen. Ich muss es wissen, ich habe eine schizoaffektive Psychose, und über weite Strecken des Spiels war ich froh, keine Axt in der Nähe zu haben und vor allem keinen der für dieses Spiel verantwortlichen. Aber das spiel hatte versprochen, mich zu gruseln, mich zu erschüttern, nicht, mich aggressiv zu machen – und überhaupt, wenn Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Problemen gewarnt werden, dieses Spiel besser nicht zu spielen, an wen richtet sich dann seine Message?
Denn, das habe ich schon bei Nevermind gelernt: Kein Gruselspiel, das was auf sich hält, kommt ohne küchenpsychologische Botschaft aus. Hier sollen wir uns also von unseren Zwängen und Sorgen befreien, um aus dem Haus zu entkommen, und der in freundlichem Blau gehaltene Engel erklärt, dass wir es selbst in der Hand haben, unsere Ängst hinter uns zu lassen: Wem sagt sie das, wenn die Spieler mit Ängsten gar nicht dabei sein sollen? Aber ja: Auch The Emptiness versucht, wesentlich zu sein, und ist zum Scheitern verdammt.
Sehr schnell ist abzusehen, dass The Emptiness auch noch mit zwei verschiedenen Enden aufwartet, einem positiven und einem negativen. Ich hatte keine Lust, das Spiel zweimal zu spielen, aber es gibt verschiedene Stellen, wo man pseudo-Entscheidungen treffen kann, zwischen positiven und negativen Bildern oder Begriffen wählen: Irrelevant für den Ausgang der Handlung, aber da mir das Spiel unentwegt sagt, dass ich einen Drang verspüre, Böses zu tun, wähle ich doch schon aus Trotz jedesmal Liebe, Glaube und Hoffnung anstelle Hass und Düsternis. Aus dem Haus komme ich davon allerdings auch nicht schneller. Und alle Versuche des Spiels, mich emotional so richtig runterzuziehen (indem es mir sagt, dass da dieser Dämon versucht, mich emotional so richtig runterzuziehen, und ich nicht nachgeben darf) scheitern: Am Ende habe ich mir nicht die Pulsadern aufgeschnitten, sondern den Mist freudig deinstalliert.
Lese ich die Rezensionen auf Steam, habe ich aber das Gefühl, ein anderes Spiel gespielt zu haben als der Rest: Da wird sich beschwert, in dem Haus unnötig verstörenden und makabren und makabren Elementen ausgesetzt gewesen zu sein, und ich frage mich: Wo stecken die? Geht es um die drei Bosch-Gemälde an der Wand? Für mich war es umgekehrt: Wenn das Haus kein echtes Haus darstellen soll, sondern das Spiegelbild meiner kranken Seele – warum sieht es dann aus wie das endloserste durchschnittliche amerikanische Mittelstandshaus? Wo sind sie befremdlichen Elemente, das Alptraumhafte, das Surrealistische? Sporadische Gruselerscheinungen hin oder her, neuzig Prozent der Zeit über ist das Haus einfach langweilig.
Also, ich fasse zusammen: Das Spiel ist bemüht, zäh, technisch veraltet, sperrig, nervend, und zu selten gruselig. Warum habe ich dann zu Beginn der Rezension geschrieben, dass es doch nicht so schlecht ist wie gedacht? Das hängt davon ab, was man als Spieler in einem Spiel sucht. Ich mag knifflige Rätsel und Puzzle, und was die angeht, schafft The Emptiness ein Level an Kniffeligkeit, das viele Spiele nicht erreichen. Ein Schiebepuzzle mit vier mal vier Feldern, das ein abstraktes Symbol ergibt, ist von Haus aus schon nicht einfach – wenn man dann auch noch jedes der Teile drehen kann (und muss), erhöht das Schwierigkeitsgrad und Spielspaß nochmal ein Stück mehr. Und so lästig es ist, wenn man auf winzige Details achten soll, die man wegen der niedrigen Graphikauflösung und körnigen Bildqualität nicht erkennen kann – wo es um die Puzzle geht, macht The Emptiness fast alles richtig.
Es könnten nur ein paar Minispiele mehr sein, und ein paar zähe Runden in Taschenlampenschein weniger. Und ein Puzzle, bei dem man den äußeren Rand in etwas, das babylonische Keilschrift zu sein scheint, im Versuch-und-Irrtum-Verfahren zusammenbruteforcen muss, weil es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, welches Teil neben welches gehört, gibt das auch Punktabzug. Aber: Ich hatte Spaß an den Minigames, und darauf kommt es an. Wenn ich mich gut die Hälfte der Spielzeit über gut unterhalten fühle, dann macht das für mich durchaus wett, dass der Rest des Spieles zäh und schleppend daherkommt. Von einem Wimmelbildspiel erwarte ich Puzzle, die mich nicht für dämlich halten, und die habe ich hier bekommen, in Varianten, die ich so noch nie gespielt habe. Liebe wenige neue Minispiele als Dutzende, die man alle schon anderswo gespielt hat.
Bekommt The Emptiness jetzt den Daumen nach oben? Himmel, nein. Das Spiel ist völlig überteuert, und dieses zähe endlose Herummanövrieren möchte ich keinem anderen Spieler zumuten. Wer das Spiel in einem Bundle mit anderen bekommt, kann ihm eine Chance geben – in meinem Fall waren das dreißig Games für einen Dollar, da macht man einen guten Schnitt. Aber für zehn Euro, oder selbst mit 75% Rabatt? Zu viel Geld für ein schlechtes Spiel. Wer wie ich gestrickt ist und auf die Minispiele abfährt, wird an diesem Spiel wirklich keine Freude haben. Es ist nicht, wie Autumn Dream, so trashig, dass es schon wieder Spaß macht. Es gibt nicht, wie Nevermind, ein paar interessante Denkanstöße. Es redet viel darüber, uns zu erschüttern, und tut es nicht.
Und wen die Screenshots auf der Steam-Seite zumindest ein bisschen reizen: Einen Teil dieser Bilder habe ich das ganze Spiel über nicht zu sehen bekommen, weil sie vermutlich zum anderen Ende gehören, und andere sind Momentaufnahmen von Jumpscares, die in Wirklichkeit nur einen Sekundenbruchteil im Bild sind. Die Graphik bleibt, über weite Teile, langweilig und uninteressent. Es ist einfach kein gutes Spiel. Ich hatte mich auf die Abgründe der menschlichen Seele gefreut, und bekam nur die Abgründe veralteter Technik. Und was an der »Deluxe-Edition« nun Deluxe gewesen sein soll … Ich weiß es nicht. Bonus-Features sucht man jedenfalls vergebens. Das »professionelle Voice-Over« hat einen unverkennbaren russischen Akzent. Alles in allem: Heiße Luft und nichts dahinter. Schade.