Maize

Die Sendung mit dem Mais

Im Humblebundle vom Juni war nicht Starcrawlers, auf das ich ein bisschen gehofft hatte, aber dafür ein anderes Spiel von meinem Wunschzettel, das mir für gut zwanzig Euro immer zu teuer zum kaufen war: Maize, ein der Prämisse nach völlig durchgeknalltes Adventure über zwei Wissenschaftler, die ein Memo der Regierung falsch verstehen und intelligenten Mais erschaffen. Was ich an Screenshots gesehen hatte, sah großartig aus, und mit verrückten, durchgeknallten Ideen bekommt man mich immer, dazu gibt es noch einen übellaunigen russischen Plüschbären – was sollte da noch schiefgehen? Leider eine ganze Menge. Denn Maize begeht einen kapitalen Fehler, den ein lustiges Spiel nicht machen sollte: Es ist nicht lustig.

Ich wollte Maize toll finden, wirklich. Auch denn der Metascore nur bei mauen 65% liegt, auch wenn das, was ich an Kritiken gelesen hatte, eher durchwachsen war: Witz ist doch immer Geschmackssache, und ich war mir sehr lange sicher, dass Maize genau meine Art von Humor hatte – selbst dann noch, als ich eingestehen musste, dass ich kein mal lachen musste. Aber irgendwann kam ich um das Eingeständnis nicht drum herum: Maize hat exzellente Graphiken, und die Animationen des Maises, der auf seinen Wurzeln läuft und mit wenigen Blättern zu erstaunlicher Körpersprache in der Lage ist, ist wirklich gut gemacht. Aber was nutzt das alles, wenn das Script nicht mitspielt? Ich bin lang genug Schriftstellerin, um genau zu wissen, woran dieses Spiel krankt: Es hat einen einzigen Autor – und niemanden, der nochmal drübergeschaut hätte.

Blimey! Dieser Mais spricht Britisch!

Brandon Hicks ist sicher kein schlechter Autor. Er hat eine flotte Schreibe, er hat Ideen, und er kann witzig sein – vor allem aber weiß er das. Er erinnert mich sehr an mich mit Anfang Zwanzig, als ich meine großartige Science-Fiction-Parodie »Kein Alarm im Weltall« geschrieben habe. Auch ich hätte jemanden brauchen können, der mir Sachen sagt wie »Den Witz hattest du schon dreimal«, »Den Insider versteht kein Schwein« oder »Wo soll das lustig sein?«. Aber es ist ein Unterschied, ob man einen Text in zehnfacher Auflage druckt und im Freundes- und Familienkreis verschenkt oder für Millionen Menschen da draußen veröffentlicht, und dabei ist es egal, ob es ein Buch wird oder ein Computerspiel: Es braucht einen Lektor. Und Maize hatte ziemlich wahrscheinlich keinen.

So bemüht sich das Spiel redlich um Witzigkeit. Als im Tutorial die Mitteilung eingeblendet wird »Pressing Q does absolutely nothing«, habe ich noch geschmunzelt. Wenn es eine Viertelstunde später heißt »I told you, pressing Q does nothing« ist das noch witzig, wenn der Spieler immer wieder Q gedrückt hat, um zu sehen, ob nicht doch etwas passiert, und das Spiel darauf reagiert – nicht, wenn der Spieler die Q-Taste überhaupt nicht angerührt hat. Und wenn dann noch dreimal im Spielverlauf die Meldung kommt »You should really stop pressing Q!«, plus am Ende des Abspanns, wird ein Witz zu Tode geritten, der nie wirklich gezündet hat. Und das ist symptomatisch für Maize: Man nimmt einen eher mauen Witz und wiederholt ihn bis zum Erbrechen.

Toilettenhumor vom Feinsten: Man kann die Uhr danach stellen, irgendwo ein Klo zu finden.

Dabei verschenkt das Spiel eine Menge Potenzial. Wenn Wissenschaftler haben ein Memo falsch verstehen und intelligenten Mais erschaffen, ist das witziger, wenn man das Memo sieht und den Fehler nachvollziehen kann – hier könnte man ein Wortspiel unterbringen, irgendwas mit »Maus« und »Mais«, und wenn es noch so peinlich wäre – es wäre immerin etwas. So findet man das Memo zwar – wie tausend andere Memos, die herumliegen und die man ebenso seinem Portfolio hinzufügt wie Stühle, Autofelgen oder ein Halbdutzend Steine, jeder mit einer Biographie und Namen – aber alles, was man erfährt, ist, dass es ein Regierungsmemo ist, das falsch verstanden wurde. Originaltext? Nicht auszumachen.

Überhaupt ist dieses Portfolio ärgerlich: Man hat eine Liste aller Memorabilia, die man gefunden hat, aber man kann sie nicht navigieren. Auf die Maus reagiert die Anzeige nicht, und auch auf keine Taste: Man bekommt nur den letzten Eintrag angezeigt, der Rest wird nur erwähnt, um mich zu ärgern. Nicht, dass diese Memos relevant wären für die Lösung des Spieles, aber manchmal sind sie doch ein wenig witzig, selbst wenn der überwiegende Teil einfach nur albern ist. Aber ich spiele dieses Spiel, damit es mich zum Lachen bringt, und dann hätte ich die Chance doch gerne. Vielleicht hätte hier ein Kontroller weitergeholfen, aber ich hatte keine Lust, alles umzustöpseln, nur um drei Memos nochmal lesen zu können.

Wot? Idiot! Vladdy hat nicht nur russischen Akzent, sondern auch sehr begrenzten Wortschatz.

Ansonsten entfaltet sich die Geschichte vor allem in Form von blauen und pinken Post-Its, die Bob und Ted, die verkrachten Wissenschaftler, überall in der streng geheimen Einrichtung (die der narzisstische Bob gerne zum Freizeitpark ausgebaut hätte) verteilt haben, offenbar die einzige Art, wie sie noch miteinander kommuniziert haben. Zwischendurch begegnet man mehrmals Gruppen sprechenden Maises, mit denen man aber nicht interagieren kann – vielleicht reden sie miteinander, vielleicht stehen sie nur herum, man hat keinen Einfluss darauf. Auch die vermeintliche Nemesis, ein lispelnder Albino-Mais, hat mehrere folgenlose Auftritte – und dann ist da noch Vladdy, natürlich. Vladdy ist ein russischer Teddy-Ruxpin-Abklatsch, der, nachdem wir ihn zusammengesetzt haben, mit einem viel zu schweren Armeerucksack samt Greifarm hinter einem herschlurft und vor sich hin mosert, mit russischem Akzent, versteht sich.

Auch mit Vladdy können wir nicht interagieren. Wir können ihn dreimal benutzen, um Türen zu öffnen oder Dinge zu reparieren – wobei es beim ersten Mal noch lustig ist, wenn etwas nach einem Fußtritt unerwartet funktioniert, jedes weitere Mal hingegen nicht – aber ob und wann er etwas sagt, entscheidet er selbst, und was er sagt, ist auch nicht relevant. Meistens erklärt er nur, dass ich ein Idiot bin, dass amerikanische Materialien Schrott sind, und dass ich ein Idiot bin. Sein einziger Witz erstreckt sich darauf, mit Akzent zu sprechen, so wie der einzige Witz des Albino-Maises sein Lispeln ist und der übrigen Maiskreaturen ihr britischer Akzent: Aber wenn er dann die Finger in die logischen Löcher des Spiels legt, fragt, warum er den dicken Rucksack schleppen muss, wenn ich sowieso den ganzen Schrott selbst im Inventar habe, oder warum ich ihm nie antworte …

Bei der zwanzigsten Statue lacht keiner mehr

Ja, warum antworte ich ihm nie? Das Spiel schafft das Kunststück, kurz vor Ende eine Erklärung zu liefern, warum unsere Egoperpspetivfigur nicht spricht – ohne zu erklären, warum sie nicht spricht. Das kann ich nicht näher erklären, ohne die einzige überraschende Plotwendung des Spiels zu spoilern, aber es war ein echter WTF-Moment und ein ärgerlicher noch dazu. Überhaupt ist so ziemlich alles, was man zu machen hat, völlig unsinnig: Nicht unsinnig im Sinne von »Benutze Ratte mit Kalte Vichyssoise«, sondern im Sinne von »Warum mache ich den Scheiß hier überhaupt?«. Ich renne ziellos durch Maislabyrinthe, erforsche Haus, Scheune und Top-Secret-Anlage, ohne jemals zu wissen, was es mir bringen soll. Vermutlich bin ich einfach nur jemand, der sonst gelangweilt in der Gegend rumstehen würde und nichts weiter zu tun hat und sich über die Ablenkung freut. Aber ich habe nichts zu gewinnen und, selbst wenn das Spiel um mich herum fortschreitet und fortschreitet, nichts zu verlieren.

Es ist nicht einmal knifflig. Da kann Maize noch so oft betonen, dass es in der Tradition von Spielen wie Monkey Island zu stehen: Die wenigen Stellen, an denen man mit seiner Umgebung interagieren kann, sind deutlich weiß umrissen hervorgehoben, und wo man eine Trittleiter hinstellen muss, sieht man daran, dass dort der Umriss einer Trittleiter vorgegeben ist. Gegenstände im Inventar informieren darüber, wo sie zu benutzen sind – selbst, wenn man das zu beseitigende Hindernis überhaupt noch nicht gefunden hat. Ansonsten probiert man einfach alles, was man im Inventar hat, aus – mehr als fünf Dinge gleichzeitig sind es selten – und setzt dann eben den rostigen Nagel anstelle der fehlenden Sicherung ein. Weil man es kann. Und nur wenn man einen unauffälliger platzierten Gegenstand übersieht und das Spiel in Herumgerenne ausartet, weiß man mal nicht, wie es weitergehen soll, und ärgert sich dann darüber, dass wegen unsauberer Programmierung mit der Unreal Engine Anschlüsse zwischen den Texturen weiß leuchten und man imnmer wieder denken muss, man hätte da etwas im Augenwinkel gesehen, was dann doch nichts war.

Wenn der DHL-Bote wieder die Pakete beim Nachbarn abgestellt hat – im 150 Kilometer entfernten Koßdorf

Selten habe ich einen so offensichtlichen Railroad-Plot erlebt. Bedingt durch den Egoperspektivmodus des Spiels rennt man sehr viel sinnlos in Echtzeit durch die Gegend, selbst wenn man eigentlich gerade einen sehr begrenzten Bewegnugssrahmen hat, wobei das Abstecken dieses Rahmens auf die ärgerlichst mögliche Weise passiert: Wege, die man noch nicht oder nicht mehr langgehen darf, sind von Wänden aus orangenen Pappkartons blockiert. Diese verschwinden von selbst, wenn man den entscheidenden Gegenstand findet, und sobald man dem im inventar hat, erfolgt die Mitteilung, dass sich gerade ein Weg geöffnet hat. Witzig? Nein. Und wenn man dann an einer anderen Stelle des Spiel diese Kartons mit einem Trecker aus dem Weg räumen kann, schafft Maize es noch nicht mal, in seiner Unlogik konsequent zu bleiben.

Nach nur rund vier Stunden Spielzeit kommt dann der Schluss in Form einer viel zu langen Videosequenz. Ach ein, das war nicht der Schluss. Ich kann doch noch was tun. Drei Minuten lang. Dann folgt die nächste viel zu lange Videosequenz. Und wieder ist es nicht vorbei. Ich kann nochmal zwei Handgriffe tun. Und selbst das war es noch nicht. Erst, als es Popcorn regnet und der Abspann erscheint, habe ich Maize wirklich beendet – und dann fällt doch sehr auf, dass sie genau vier verschiedene Popcornmodelle designt haben. Der Abspann ist zu lang, aber das Lied dazu ist gut: Es wäre nur besser, wenn man es im Verlauf des Spiel nicht schon dreimal gehört hätte. Man kann für fünf Euro den Soundtrack des Spiels erwerben, aber was der umfassen soll bis auf diesen einen guten Song und das ansonsten aggressiv machende Hintergrundgedudel, das man keine zweites Mal hören möchte, weiß ich nicht.

Lila Mais – das freut sich der pinke Inka

Mein Fazit kann leider nicht positiv ausfallen. Eine verschenkte Idee und gute Graphiken machen allein noch kein gutes Spiel, erst recht nicht eins für zwanzig Euro. Vier Stunden Spielzeit rechtfertigen diesen Preis erst recht nicht. Und auch wenn ich nicht alle 75 Memos und Co. für mein Portfolio gefunden habe, sehe ich keinen Grund, das Spiel nochmal neu zu beginnen. Dafür hätten die Macher von Finish Line Games ein bisschen bessere Zielgruppenpolitik betreiben müssen. Aber auch wenn sich das Spiel an Leute wendet, die grundsätzlich Spaß daran haben, sinnlose Memos zu sammeln und jedes einzelne Post-It zu entdecken, gibt es keine Steam-Achievments zum Spiel, keine Sammelkarten, nichts, das irgendeinen Mehrwert bieten würde. Ich jedenfalls bin froh, dass ich mir dieses Spiel nicht gekauft habe – und selbst dann bleibt ein Gefühl bitterer Enttäuschung. Das hätte so ein gutes Spiel werden können. Mit einem Lektor. So bleibt es nur bei einer Warnung aus einem alten und sehr viel besseren Spiel: Nicht auf den Mais treten! Mais lockt Schweine an …

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