In der guten alten Zeit der Lucasarts-Adventures gab es ein Spiel, das nicht von Lucasarts war, das sich in Sachen Graphikstil und Humor nicht hinter dem großen Bruder zu verstecken brauchte, und dieses Spiel war Simon the Sorcerer. Mit feinem englischen Humor, bildschönen pixeligen 2D-Graphiken und einem Soundtrack voller Ohrwürmer in Midi-Qualität, gehören die ersten beiden Teile immer noch zu dem Feinsten, was jemals im Point-and-Click-Adventure erschienen ist. Dann kam Teil 3, warf alle Vorzüge über Bord, weil doch kein Mensch mehr zweidimensionale Spiele spielen wollte, und wurde ein schon damals unspielbar hässliches 3D-Spiel, das heute erst recht kein Mensch mehr spielen möchte – und danach wurde es noch schlimmer: Die Rechte der Reihe wechselten nach Deutschland, gingen an RTL, und damit verschwand auch noch der englische Humor zugunsten klassischer deutscher Penälerwitze. Sic Transit Gloria Mundi. Aber immerhin gibt es für ganz, ganz kleines Geld die beiden klassischen Teile von Simon the Sorcerer bei Gog, und so konnte ich ein Stück meiner wildbewegten Jugend noch einmal erleben.
Simon erschien erstmals 1993, und ich bin dem ersten Teil 1996 oder ’97 begegnet, als ich von einer Kommilitonin die Diskettenversion kopiert bekam. Ja, das war die Zeit, das Wort »Raubkopierer« war noch nicht erfunden, dafür hatten die Spiele einen Kopierschutz wie das legendäre Dial-a-Pirate-Drehdings von Monkey Island – oder die Aufforderung, das Nte Wort von Seite X des Handbuchs einzugeben. Denn, liebe Kinder, damals kamen Spiele in großen Schachteln und hatten ein schönes, dickes Handbuch dabei, meistens mit besseren Bildern als das ganze Spiel. Auch Simon the Sorcerer hatte seine Passwörter in diesem Handbuch versteckt, und natürlich hatte ich von meiner Freundin keine Kopie dieses Handbuchs bekommen. Aber ich hatte Glück. Statt Worte eintippen zu müssen, war auf jeder Handbuchseite ein achtzackiger Stern abgebildet, auf dem acht magische Gegenstände in unterschiedlicher Reihenfolge angeordnet waren – und man musste dann anklicken, wo auf Seite XY der Besen liegt. Nichts, was sich nicht bruteforcen lässt!
Die nächsten Wochen über verbrachte ich damit, den Kopierschutz von Simon zu knacken. Ich legte ein Blatt für jede Seite des Handbuchs an und machte detailierte Notizen, an welcher Stelle ich welchen Gegenstand probiert hatte – erschwert dadurch, dass ich an einem kaputten Monitor arbeitete, auf dem das Bild so stark verschwommen erschien, dass ich manche Gegenstände überhaupt nicht identifieren konnte. Bei einigen habe ich nie erfahren, was sie darstellen sollten. Und ich hätte gewarnt sein sollen, was es heißt, Simon the Sorcerer auf einem kaputten 14-Zöller zu spielen. Aber ich war mit Spaß und Konzentration bei der Sache. Für jeden Spielstart musste ich drei Positionen richtig zuordnen – aber selbst wenn ich das Spiel erfolgreich gestartet hatte, habe ich es wieder beendet und weiter probiert, so lange, bis ich meinen Kopierschutz komplett und lückenlos geknackt hatte. Es ist ein Jammer, dass ich keine Ahnung habe, was aus diesen Seiten geworden ist. Es war harte, harte Arbeit. Ich habe sie bestimmt nicht weggeworfen. Ich habe noch ein paar Kisten mit unsortierten Papieren aus den letzten zwanzig Jahren.
Da ich die Diskettenversion statt der parallel erschienenen CD-Version spielte, hatte ich keine Sprachausgabe, sondern eingeblendete Dialoge, und das rettete mich, als ich gegen Ende des Spiels ums Verrecken nicht weiterkam. Da hatte ich mich erfolgreich bis in den Turm des bösen Zauberers Sordid hineingekämpft – oder besser, gezaubert – nur um keine Ahnung zu haben, wie es weitergehen sollte. Das war, bevor ich einen Internetzugang hatte oder es sowas wie Musterlösungen gab, es sei denn, man kaufte ein Spiel mit der Zeitschrift »Bestseller Games«, wo immer eine Komplettlösung beilag, und ich musste kreativ werden: Ich knackte das Spiel. Ich öffnete die einzelnen Dateien mit einem Texteditor und durchsuchte sie nach den passenden Räumen und den Dingen, die dort gesprochen wurden – ich ging davon aus, etwas übersehen zu haben, und da Simon alles, was es zu sehen gibt, bei Bedarf kommentiert, muss es eine Zeile Dialog dazu geben. Und sie da – Simon kommentierte einen Haken, der mir entgangen war. Auf meinem Bildschirm war der auch beim besten willen nicht zu sehen. Genausowenig wie die winzige Feder, die die Eule verliert. Oder wie der winzige Stein, auf den das Passwort der Zwergenmine geschrieben steht.
Zumindest für den übersehenen Stein gab es einen Workaround, der mir mit meiner Bereitschaft, alles und jedes zu bruteforcen sehr entgegen kam: Wer den Stein mit der Aufschrift »Bier« nicht hat, kann raten – einmal das Wörterbuch von vorne bis hinten durchgehen, und sich freuen, dass der Bier immerhin schon beim B kommt, aber es hätte mich auch nicht aufgehalten, wenn ich mich, wie ich befürchtete, bis »Zwerg« hätte durchfragen müssen. Ich hatte viele, viele, viele Wochen Spaß mit Simon the Sorcerer, was gut war in einer Zeit, als ich überhaupt nur eine Handvoll Spiele besaß, und für eines, das ich mir noch nicht mal gekauft hatte, was das wirklich ein ausgezeichentes Preis-Leistungs-Verhältnis. Weil ich aber heute gesetzt und ehrlich bin, gehe ich hin und kaufe mir all diese Spiele von damals, damit ich sie zumindest bezahlt habe – was eine miese Ausrede dafür ist, mich bisschen sentimental zu fühlen und zurück in meine Jugend zu reisen, und im Vergleich zu den 1,39 EUR, die ich gestern jeweils für Simon 1 und 2 gezahlt habe, hätte ich die Spiele damals nicht mal als Beilage zur »Bestseller Games« bekommen.
Bleibt also die Frage – wer hat sich besser gehalten, das Spiel oder ich? Andere 2D-Adventures aus der Zeit, die ich kürzlich wiedergespielt habe, waren volle Erfolge – Day of the Tentacle in der remasterten Version war nicht weniger witzig als vor zwanzig Jahren, und an Sam & Max knabbere ich immer noch herum, weil ich nicht weiterkomme. Nun also zurück zu Simon, und da dieses Spiel nie remastert worden ist, habe ich nicht nur die Originalgraphiken, sondern auch die Original-Befehle zum Anklicken. Und an der Stelle fühlt sich Simon the Sorcerer deutlich sperriger an als das, was zur gleichen Zeit bei Lucas Art mit der innovativen SCUMM-Engine gemacht wurde.
Während das kürzlich gespielte Day of the Tentacle noch mit neun Befehlen daherkommt, braucht Simon the Sorcerer nicht weniger als zwölf, darunter solche Exoten wie »trage« (nicht im Sinne von »heb auf«, sondern »zieh an«) oder »verspeise«, auch wenn diese nur an ein oder zwei Stellen im Spiel überhaupt gebraucht werden. Und um einer Figur einen Gegenstand zu geben, muss man selbstverständlich den »gib«-Befehl verwenden – mit »benutze« geht hier gar nichts. Selbst »gib« scheitert manchmal – wenn man die Figur stattdessen ansprechen muss und den gewünschten Gegenstand in einer Dialogoption überreichen, selbst wenn diese Dialogoption dann aus einem »Ich habe etwas im Inventar, das dich interessiert« besteht. Das wird unnötig umständlich und wäre sicher auch damals schon einfacher gegangen.
Dafür kann ich heute zwei Sachen genießen, die mir damals verwehrt waren: Das eine sind die Graphiken, die auf einem heilen Monitor doch deutlich besser zur Geltung kommen als schwierig, verschwommen, abgedunkelt und mit maximiertem Kontrast, um überhaupt etwas erkennen zu könnenn, und die wirklich immer noch sehr, sehr schön sind, machmal zu detailreich und verschnörkelt, aber mit viel Liebe gemacht. Es ist schön, dass inzwischen Spiele jede Art von Graphik haben können, einschließlich pixeligem 2D, und es nicht mehr Zwang ist, das Maximum aus DirectX und der Graphikkarte auszuholen. Das andere sind die englischen Originaldialoge, von wunderbar britischen und zum Teil sogar talentierten Menschen eingesprochen, auch wenn zumindest der erste Teil noch so gut übersetzt war, dass man sich über kein verstolpertes Wortspiel ärgern musste (im zweiten Spiel gab es eine unübersetzbare Stelle, die darauf basierte, dass im englischen das Wort »Seal« sowohl ein Siegel als auch eine Robbe bezeichnen kann, und die Übersetzung mit »königliche Robe« war fühlbar eine Notlösung), so dass Simon the Sorcerer das Zeug hätte, auch ein Ohrenschmauß zu sein – hätte, wohlgemerkt.
Was leider im wahrsten Wortsinn dazwischenfunkt, ist der Soundtrack. Die Midi-Stücke sind immer noch nett anzuhören, folkiges, pseudo-mittelalterliches Gedudel, immer passend zur Stimmung, auch wenn die Musik nie so kultig geworden ist wie die Calypso-Klänge aus Monkey Island. Aber ob es schon immer so war oder aus der unterschiedlichen Interpretation der Midi-Notation durch moderne Soundtreiber resultiert, die Musik ist viel zu laut im Vergleich zur Sprachausgabe. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sprecher mit sehr unterschiedlicher Lautstärke aufgenommen wurden, so dass man manche NPCs überhaupt nicht verstehen kann. Eine Möglichkeit, die verschiedenen Lautstärtken zu regulieren, gibt es nicht, das Spiel hat keinerlei Einstellungen, und die Untertitel der Diskettenversion können auch nicht eingeblendet werden. Zwar hat Gog mir beide Versionen – CD und Diskette – installiert, aber ich kann nicht meinen Spielstand von der einen in der anderen Version öffnen und hatte keine Lust, deswegen das ganze Spiel nochmal neu zu starten. Erst zu spät kam ich wieder auf die Idee, an den eigentlichen Spieldateien rumzuwursteln wie vor zwanzig Jahren: Und siehe, da ist eine Datei, simon1.ini, in der man die Lautstärke für Sprache und Midi getrennt einstellen kann. Damit kann man die Dialoge hörbar machen. Ich habe sie aber erst entdeckt, als ich durch das Spiel schon durch war.
Was also im Jahr 1996 eine Frage vieler, vieler Wochen war, war nun in kaum mehr als drei, vier Stunden erledigt, und das ganz ohne Musterlösung. Was mir entgegenkam, wieder mal, war mein gutes Gedächtnis. Und nachdem mir einmal wieder eingefallen war, wie ich den Troll von der Brücke bekomme, ging der Rest des Spieles Schlag auf Schlag. Ich denke, je länger man in den Neunzigern an einer Stelle gehangen hat, desto besser wird man sich auch zwanzig Jahre später noch an die Lösung erinnern. Aber alles in allem denke ich, Simon the Sorcerer ist in Würde gealtert. Hat man einmal die Sprachlautstärke adjustiert, bekommt man ein schönes, witziges, und stellenweise durchaus knackig schwieriges Spiel, das sich hinter modernen Acht-Bit-Indieproduktionen nicht zu verstecken braucht. Unfair ist es nur, wenn man die Eulenfeder übersieht – der Haken, den ich seinerzeit nicht gefunden habe, ist tatsächlich klar und deutlich sichtbar. Ich freue mich schon darauf, mit Simon 2 weiterzumachen. Und vielleicht werde ich mir auch, aber nur für dieses Blog, das unsägliche Simon the Sorcerer 3D antun. Simon 1 hingegen ist nicht nur für Mitvierziger im Retro-Wahn lohnend, sondern für jeden, der Spaß am Um-die-Ecke-Denken, schwarzem Humor und Wortwitz hat – und immer schon mal einem Zwerg den Bart abschneiden wollte.