Manchmal hat man schon den Eindruck, dass »Walking Simulator« ein Synonym ist für »Wir sind unfähig, irgendwas Belebtes in unsere Spiele zu programmieren«. Und wo einige dieser Spiele im Gegenzug eine tolle Geschichte präsentieren, die sich nach und nach entfaltet, hat man bei anderen das Gefühl, dass die Macher ein Setting ohne Spielelemente hochgeladen haben und es unter dem Deckmäntelchen »Walking Simulator« ein Spiel nennen. House of Caravan ist irgendwo dazwischen angesiedelt, ein begehbares, leicht gruseliges Haus mit einem Hauch von Handlung, einer lachhaften Physikengine, drei Puzzeln, die den Namen nicht wirklich verdienen – aber dabei so unerträglich verbuggt, dass es wirklich keinen guten Eindruck hinterlässt. Ich habe es trotzdem bis zum Ende durchgespielt, und ich muss sagen, dass dem Spiel etwas gelungen ist, dass ich bei anderen vermeintlichen Gruselspielen der jüngeren Zeit nicht hatte: Ich habe mich gegruselt. Nicht ständig, und nur ein bisschen, aber immerihn. In dieser Hinsicht: Ziel erreicht. In aller anderer Hinsicht: Setzen, sechs.
Entgegen des holprigen Titels sitzen Rosebud Games, die Macher dieses Schmuckstücks, nicht irgendwo in Osteuropa, sondern in Barcelona. Trotzdem ist man geneigt, den Titel House of Caravan mit dickem russischen Akzent auszusprechen. Tatsächlich spielt das Spiel in der Gegend von Boston, und wir befinden uns im Jahr 1910. Der kleine Lester Barnham, ein Junge von vielleicht zehn Jahren (aber der Egoperspektive nach groß für sein Alter und in der Lage, aus dem Stand einen Meter hoch in die Luft zu hüpfen) wird in einem ihm fremden Zimmer wach und erinnert sich dann daran, dass er am Tag davor auf dem Heimweg von der Schule verschleppt worden ist, stundenlang durch die Gegend gekarrt wurden, und dann auch noch eine weite Wanderung auf sich nehmen musste – kann man ja schon mal vergessen. Dass er offenbar bereits Tage vorher mit Gewalt von seiner Mutter getrennt und in einem schmierigen Gasthof untergebracht worden ist, weiß er offenbar auch nicht mehr, erfährt es im Verlauf des Spiels aber durch herumliegende Briefe. Und viel mehr als Briefe gibt es in Haus von Wohnwagen auch nicht zu entdecken.
Hat man sich einmal mithilfe eines aus dem Kleiderschrank gefischten Schlüssels aus dem Kinderzimmer von Arthur Caravan Junior befreit, kann man sich daran machen, das Haus zu erkunden. Man kann es auch sein lassen und im Kinderzimmer bleiben, aber dann passiert eben gar nichts in diesem Spiel. Also los. Ich finde eine Streichholzschachtel (von Lester mit einem ehrfürchtigen »A matchbox!« kommentiert, ein Ausruf, an den man sich schon mal gewöhnen sollte, denn man wird ihn noch sehr, sehr oft hören), kann damit eine Kerze auf der Kommode anzünden, und bekomme ein kleines bisschen Licht: An dieser Stelle gefällt mir das Spiel ganz gut. Wenige Spiele, die in der Gaslicht-Ära angesiedelt sind und in denen man Räume mit Kerzen und Petroleumlampen beleuchtet, berücksichtigen, dass es damals wirklich, wirklich dunkel war und die Lichtquellen in ihrer Ergiebigkeit nicht im Geringsten an Glühbirnen heranreichen. Den größten Teil des Spiels über tappt man durchs Halbdunkel. Soweit, so gut.
Aber offenbar ist in jeder Streichholzschachtel exakt ein Streichholz – oder Lester ist unfähig, Kerzen anzuzünden, und verbraucht für jede den Inhalt einer ganzen Schachtel (kann ja mal vorkommen. Ist halt nervös und ängstlich, der Junge – wer will es ihm verdenken?). Lester kommt auch nicht auf die Idee, einfach eine von den Kerzen mitzunehmen. Man findet zwar unterwegs eine Taschenlampe, aber wenn man die zu oft benutzt, ist die Batterie leer, und auch wenn ich unterwegs eine Reservebatterie finde, gelingt es mir nicht, sie mit der Taschenlampe zu verbinden. Dann habe ich halt keine Taschenlampe mehr. Sie ist insofern auch egal, als dass man auch im Stockdunklen Gegenstände daran findet, dass sie einen weißen Umriss bekommen, wenn man mit der Maus drübergeht. Lächerlich wird es erst dann, wenn das Haus eben doch einen Stromanschluss hat – der nur nicht benutzt wird, um Lampen zu betreiben, sondern lediglich dazu dient, zwei Türöffner im Keller zu betreiben. Dazu später mehr. Ansonsten hängt zwar in jedem Raum eine hübsche Deckenlampe – nur schade, dass es nirgendwo Lichtschalter gibt. Sie müssen ja nicht funktionieren, aber existieren sollten sie schon. Oder sind die Lampen nur Deko?
Überhaupt, hübsch ist es hier, das muss man den Entwicklern lassen. Das Haus ist jetzt keine solche Augenweide wie das aus Vernon’s Legacy, aber dafür sind die Toiletten sauber. Die Zimmer gemütlich, mit Bildern an den Wänden und Sesseln, die zum Hinsetzen einladen, auf den ersten Blick eine treffende Umsetzung eines wohlhabenden Haushalts im Jahr 1910. Auf den zweiten Blick, wenn man sich mit der Epoche näher befasst hat, wird vieles wieder unlogisch und passt nicht zur Chronologie der Ereignisse; es gibt genau zwei Betten fürs Personal, und es ist unwahrscheinlich, dass sich Butler Reginald sein Zimmer mit dem Hausmädchen oder der Köchin oder wer auch immer Personal No. 2 teilen sollte. Die Zimmer sind riesengroß, einschließlich gigantonormischer Badezimmer, aber es fühlt sie nie an wie ein Haus, in dem Menschen wohnen würden. Man kann alle Schränke und Schubladen öffnen, aber das meiste davon ist leer, und wie in den meisten Walking-Simulatoren kann man zwar alles hochheben, aber nicht wieder zurücksetzen.
Das ist eine Sache, die mich inzwischen wirklich nervt, und da House of Caravan ausdrücklich damit wirbt, eine Physikengine zu besitzen, bekommt das jetzt meine volle Breitseite ab. Wenn ich einen Stuhl aufhebe, will ich ihn auch wieder hinstellen können, einfach so, vier Beine auf den Boden. Aber ich kann die Dinge nur werfen oder fallenlassen, und alles, was zerbrechlich sein könnte, geht bei leisestem Anstupsen kaputt. So hebe ich Teller und Vasen hoch, um zu sehen, ob vielleicht ein Schlüssel oder sonstwas Nützliches drunterliegt, aber beim Versuch, sie wieder hinzustellen, gehen sie unweigerlich zu Bruch. Es fühlt sich an, als würde ich niemals meine Hände benutzen, sondern grundsätzlich alles mit den Zähnen packen und nach links und rechts schleudern wie ein Hund mit seinem Quietscheigel. Hände habe ich jedenfalls keine. Was eklären kann, weswegen ich immer gleich eine ganze Schachtel Streichhölzer brauche, um eine einzige Kerze anzuzünden. Immerhin darf ich in der Küche mit einem Brokkoli werfen, was ich immer schon mal wollte – das rettet dieses Spiel aber auch nicht mehr.
Aus den Briefen, die an allen unmöglichen Orten herumliegen, entfaltet sich die Geschichte der Familie Caravan, über deren Namen ich einfach nicht hinwegkomme. Unser kleiner Lester ist also der uneheliche Sohn des Familienoberhaupts, was wir wissen, weil Lesters Mutter Josephine herzerweichende Briefe an Mrs. Caravan, Madeline, schreibt, denn niemand ist besser geeignet als die betrogene Ehefrau, um das Herz eines Kotzbrockens zu erweichen, nicht wahr? Und Vater Caravan ist ein Scheusal, wie es im Buche steht. Nachdem der einzige Sohn, Arthur Junior, bei einem Jagdunfall ums Leben kommt und Madeline vor Gram den Verstand verliert, fällt Caravan wieder ein, dass er ja noch irgendwo diesen Bastard hat, aber als ob es nicht reicht, das Kind zu entführen UND alle Papiere zu fälschen, um den Namen der Mutter aus Lesters Vergangenheit zu tilgen, muss er die arme Frau natürlich umbringen lassen. Und lässt die kompromitierenden Papiere, aus denen all diese Verbrechen hervorgehen, auch noch überall rumliegen.
Bei soviel Schlechtigkeit ist es kein Wunder, dass es im Haus nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Spukeffekte beschränken sich auf ein Minimum, sind aber in den meisten Fällen sehr effektiv eingesetzt – Fenster, die plötzlich auffliegen, Ritterrüstungen, die umkippen, Leuchter, die von der Decke fallen. Vor allem die stimmungsvolle Musik sorgt dafür, dass manche Stellen sich echt beklemmend anfühlen – bei mir zumindest: Ich reagiere auf gruselige Musik doch deutlich sensibler als auf den Irren mit der Kettensäge, und am gruseligsten ist für mich immer das, was man nicht sieht. Wenn nur das Rattern nicht wäre! Andauernd – wirklich alle paar Minuten – wird das ganze Haus erschüttert, als ob ein ICE drunter durchführe; das Bild wackelt, man kann sich nicht bewegen und muss warten, bis es vorbei ist. Beim ersten Mal hat mich das noch erschreckt. Später gewöhnt man sich dran, es ist, als wohne man an einer Bahntrasse, und vor allem spielt es keine Rolle. Man erfährt zwar, dass das Haus Probleme mit der Statik hat und sich ein Riss hindurchzieht, aber von dem ist nichts zu sehen, und das Rattern wird nicht im Verlauf des Spiels schlimmer: Es geht nicht darum, aus dem Haus zu kommen, bevor es auseinanerbricht, es ist schlichtweg egal, nur ein billiger Effekt.
Ebenfalls von der billigen Sorte sind die Puzzle. Bei dem einen muss man Fotos mit der Lupe nach Zahlen und Buchstaben absuchen und diese in eine Rätseldose eingeben – aber die Lupe ruckelt und hakelt und laggt und bewegt sich kaum und erst recht nicht so, wie man will. Bei einem anderen Rätsel muss man mit vier Drähten Stromanschlüsse verbinden und muss die richtige Kombination durch Herumprobieren herausfinden – richtig platzierte Drähte leuchten weiß – was dadurch erschwert wird, dass man stundenlang hermklicken muss, ohne dass sich etwas tut, bis es endlich gelingt, überhaupt einen Drat einzusetzen. Ich habe, ungelogen, anderthalb Stunden gebraucht, bis ich diese vier Drähte eingesetzt hatte, und als dann nicht mal irgendwas passierte, was ich schon schwer enttäuscht. Überhaupt, das Spiel – vermutlich mit der Unity-Engine entwickelt, aber dann müsste eigentlich im Vorspann des Spiels das Unity-Logo erscheinen, stattdessen gibt es keine Credits und auch sonst keinen Hinweis auf die verwendete Engine.
Das ist vielleicht ein Verstoß gegen die Lizenzbedindgungen, aber wenn ich Unity wäre, würde ich auch nicht mit diesem Spiel in Verbindung gebracht werden wollen. So schön die Screenshots auch aussehen: Das Spiel laggt unglaublich, dafür, dass eigentlich nichts da ist. Man sollte sich mit fließenden Kamerabewegungen durch die Räume bewegen können, wie man es von Spielen in der Egoperspektive gewöhnt ist, aber ab dem dritten Zimmer fingen die Bewegungen an zu Ruckeln, und am Ende hatte ich hakelige Einzelbilder, wie ich sie seit The 7th Guest nicht mehr kannte. Und das passierte nicht nur auf meinem eher schwachbrüstigen Laptop, sondern auch auf meinem noch kein ganzes Jahr alten Gaming-PC, der noch nie mit irgendeinem Spiel Probleme hatte. Das Spiel ist nicht verbuggt in dem Sinne, dass es abstürzen würde, aber es ist über weite Strecken unspielbar, und ich habe nur deswegen durchgehalten, weil ich dachte, ich kann es besser verreißen, wenn ich es auch bis zum Ende gespielt habe.
Aber der dickste Hund kam am Schluss. Ich hatte den Schlüssel für die Hauskapelle gefunden, war von dort in die Familiengruft marschiert, wo ich in einem Sarg den Schlüssel für die Vordertür gefunden hatte – also das, was ich brauchte, um aus dem Haus zu entkommen und das Spiel zu beenden. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber die zweite Rätseldose noch nicht geöffnet, einen Vierzahlen-Code für einen Globus mit Geheimschloss noch nicht gefunden, und war noch nicht im Keller. Hm, vielleicht brauche ich mehr als nur diesen Schlüssel? Vordertür ausprobiert – Abspann. Okay … Aber vielleicht bekomme ich einen anderen Abspann, oder Achievements, oder sowas? So ging ich als nächstes in den Keller. Dort erwartete mich das erwähnte Drahtgestecke, außerdem fand ich eine Geheimtür, die mich zurück in Caravans Zimmer führte – also den Raum mit den beiden anderen ungelösten Rätseln. Ich kam nicht weiter. Die Komplettlösung sollte mir helfen – und so erfuhr ich, dass ich gerade das Spiel vom Schwanz aufgezäumt hatte.
Eigentlich geht es nämlich so: Die Rätseldose, für deren Lösung ich einen Gegenstand tatsächlich nicht gefunden hatte, gibt mir den Code für den Globus. Der Globus öffnet die Geheimtür, und durch die komme ich überhaupt erst in den ansonsten versperrten Keller, wo ich mit den Drähten den Strom wieder in Bewegung setze und so die Entriegelung der Gruft anstoße. Nur, dass das Spiel offenbar vergessen hatte zu implementieren, dass Keller und Gruft verschlossen sein sollten. Wuppsi! Der Schlüssel, den ich in der Gruft gefunden hatte, ist also wirklich der Gegenstand, der das Spiel beendet. Und dass ich gerade mich anderthalb Stunden mit den Drähten rumgequält hatten, damit die eine Tür öffnen, die längst offen war – das ist wirklich kein befriedigendes Ende. Um es so zu sagen: House of Caravan ist total zerschossen. Schrott. Zeitverschwendung. Vom Entwickler offenbar nicht getestet, und überhaupt nicht gut gemacht.
Eigentlich hatten Rosebud Games ein zweites Spiel in Vorbereitung. Death in Candlewood sollte im gleichen Ort spielen wie House of Caravan, unter anderem das Irrenhaus als Schauplatz haben, mehr Rätsel, rollenspielähnliche Dialoge, ach ja, und ein Egoshooter noch dazu sein, mit lernfähiger KI – also, ein wahres Schmuckstück von einem Spiel, nur kann man sich nicht vorstellen, wie ein Studio, das noch nicht mal ein leeres Haus sauber umsetzen kann, das hätte realiseren wollen. Nicht nur mir war schnell klar, dass sich da jemand zu viel vorgenommen hat, und auch wenn die Kickstarter-Kampagne nur 60.000 Dollar haben wollte – die niemals gereicht hätten, um ein Spiel mit dieser Beschreibung zu realisieren – kamen nur knapp über 12.000 Dollar zusammen. Das war 2014. Seither wurde die Webseite des Spiels und die der Entwickler nicht mehr aktualisiert, auf Facebook tut sich auch nichts, und ich wage zu bezweifleln, dass wir noch einmal etwas vom Candlewood-Universum hören werden.
House of Caravan hat mich weniger als einen Euro und mehrere Stunden meines Lebens gekostet und war weder das eine, noch das andere wert. Die Story packt nicht, die Aufnahmequalität der Sprachausgabe (die Briefe werden aus dem Off vorgelesen, wobei je eine männliche und eine weibliche Stimme alle Rollen übernehmen) ist voller Artefakte und klingt schon nach einem billigen Mikro, und unser Held besticht durch seine ständigen Aussprüche »A Matchbox!«, wenn er die endloserste Streichholzschachtel findent, sowie das idignierte »I need something!«, wenn er etwas benutzen muss, zum Beispiel, weil er vor einer verschlossenen Tür steht. Kann er nicht mal sagen, dass er einen Schlüssel braucht? Vom antiklimaktischen Ende ganz zu schweigen … Nein, dieses Spiel ist wirklich lieblos und billig auf den Markt geschmissen. Ehrlich – wenn ein Spiel seine Physik-Engine bewirbt mit der Anündigung, dass man Türen öffnen kann, was soll man dann erwarten?