Meine guten Vorsätze im neuen Jahr beinhalten unter anderem, mehr zu spielen – insbesondere mehr von meinen unbekannten Steam-Schätzchen anzuspielen und dann über meinen ersten Eindruck zu bloggen. Aber bei der viel zu großen Auswahl – womit fange ich an? Fragen wir die Leser. Und da ich nur von einer Person weiß, die dieses Blog regelmäßig liest, fragte ich also die gute Daiell von Daiell LPs: »Was willst du als nächstes lesen?« Daiell arbeitete sich durch meine Steam-Liste und schlug mir Alpha Protocol vor. »Alpha Protocol?«, sagte ich. »Das habe ich doch schon längst durch!« – »Hier steht null Stunden«, sagte Daiell. Also gut, einer von uns irrt … Das Spiel, das ich durchgespielt habe, heißt Alpha Polaris. Kann man ja schon mal durcheinanderbringen. Warum müssen Spiele auch immer so ähnlich heißen? Ich versprach Daiell also einen ersten Eindruck von Alpha Protocol – und ahnte, dass es ein »Let’s Fail« werden sollte. Schleichen ist einfach nicht meine Stärke, man erinnere sich nur an meinen Flop bei Thief – aber um meine einzige Leserin zu unterhalten, mache ich mich doch gern zum Horst.
Die erste Frage nach dem Starten des Spiels: Warum zum Henker habe ich mir das gekauft? Ja, ich ,mag Shooter, aber ich bevorzuge Egoshooter gegenüber Third-Person-Shootern; ich mag Fantasy, Horror und Science Fiction-Settings, aber ich habe es überhaupt nicht mit realistischen Kriegsszenarien oder saudiarabische Terroristen, und hier sehe ich schon im Vorspann, wie diese terroristischen Araber ein vollbesetztes Flugzeug abschießen,dann kommt eine Einblendung »Drei Monate früher«, noch etwas, das ich ich nicht mag, und dann auch noch schleichen müssen? Halleluja! Erschwerend kommt noch hinzu, dass es sich um einen Konsolen-Port handelt, und ich habe im letzten Jahr nicht nur gelernt, Konsolenports zu identifizieren, sondern vor allem, sie von ganzem Herzen zu hassen. Das kann ja heiter werden … Aber ich muss nur eine Stunde durchhalten, meine Minimalzeit für »Angespielt«-Artikel. Ich werd es überleben … Ein paar Stunden später blicke ich zurück auf ein spannendes, spaßiges Spielerlebnis – und versagt habe ich überhaupt nicht. Nur ein bisschen, vielleicht. Nicht der Rede wert. Dies ist kein »Let’s Fail«.
Wie es sich für ein echtes Rollenspiel gehört, beginnt auch Alpha Protocol mit der allseits beliebten Prämisse »Du wachst auf. Du fühlst dich scheiße«. Ich bin ein barfüßiger Kerl im Krankenhausschlafanzug und bekomme über Funk Anweisungen, wie ich meinen Entführern entkommen kann. Mein Tutorial stellt sich sogar mit Namen vor; sie heißt Mila, und ich scheitere schon daran, mich mir ihr zu unterhalten. Ähnlich wie bei Mass Effect wählt man hier keine Dialogoptionen aus, sondern grundsätzliche Reaktionsmuster – »lässig«, »sarkastisch«, »aggressiv«, etc. Anders als bei Mass Effect wählt man jedoch nicht mit der Maus, sondern muss mit den Cursortasten durch die Optionen navigieren, während ein Counter die Zeit runterrasslt. Die Hälfte der Zeit antworte ich also nicht, was ich gerne sagen würde, sondern pöble die hübsche Mila irrtümlich an, weil ich es nicht schnell genug in die Flirt-Position geschafft habe. Erst nach einigen Fehlgriffen habe ich den Dreh raus.
Es sind Momente wie diese, wo mir wieder schmerzlich bewusst wird, einen Konsolenport in der Hand zu haben. Zwar besitze ich inzwischen einen Controller, aber für Shooter, wo ich zielen muss, kann ich ihn nicht benutzen, ich muss mit der linken Hand zielen können, meine rechte ist dafür einfach viel zu unpräzise in ihren Bewegungen. Also spiele ich mit Maus und Tastatur, wie es sich für einen Shooter gehört. Immerhin kann ich ein paar Tasten umbinden – aber das Kernproblem kann ich nicht beheben: Hunderttausend Aktionen, die alle an einer einzigen Taste hängen. Hier ist es mal wieder die Leertaste. Ich will die Leertaste genau für eine Sache benutzen können: zum hüpfen. Aber in Alpha Protocol brauche ich die Leertaste, um Dinge zu nehmen. Und Türen zu öffnen. Und in Deckung zu gehen. Und zu sprinten. Und manchmal, an bestimmten, vom Spiel vorgesehenen Stellen, darf ich sogar einen Sprung machen. Aber ich habe so viele Tasten zur Auswahl – es nervt wirklich, dass alle Aktionen an einer einzigen Taste hängen.
Noch eine typische Konsolenkrankheit sind Speicherpunkte. Erwähnte ich, dass ich es hasse, nicht selbst speichern zu können, dann und wo ich es will? Ich bin ein »Save early, save often«-Spieler. Alpha Protocol hat die üblichen Autospeicherpunkte. Aber es bietet mit auch die Option »Save Checkpoint« an. Huzzah! Ich kann speichern! Das tue ich also, wie ich es immer tue, oft und gerne – bis ich in die Verlegenheit komme, beim Türenknacken einmal zu früh zu zu klicken und meinen Dietrich zu ruinieren. Keine Ahnung, wie viele ich davon noch habe – besser schnell neu laden … Und dann kommt die böse Erkenntnis: Das Spiel speichert nicht da, wo ich gerade stehe. Es speichert da, wo der letzte Checkpoint war. Der Unterschied zum Autospeichern ist nur, dass diese Speicherstände nicht überschrieben werden, man also später nochmal dahin zurückkehren kann. Also kämpfe ich mich nochmal durch den Raum voller Wachen … Grumpfl.
Auch, dass ich eine Map habe – ich bin schwach in Sachen Orientierung und freue mich, wenn ich zwischendurch auf eine Karte schauen kann – stellt sich noch als Pferdefuß heraus: Zwar taucht die Karte wie erhofft auf, als ich probeweise M drücke – aber ich bekomme sie nicht mehr geschlossen. Escape macht überhaupt nichts. Nochmal M drücken hat auch keinen Effekt. Mit der eingeblendeten »Zurück«-Schaltfläche komme ich zwar in eine Menu, wo ich meine Aufgaben, Stats, das Inventar, Top-Secret-Akten und die Karten einsehen kann, aber nicht weiter hinaus. Erst, nachdem ich probeweise die ganze Tastatur abgeklappert habe, schließt sich das Ding, indem ich dreimal nacheinander die rechte Maustaste drücke. Intuitiv ist anders. Und dass die Macher offenbar vergessen haben, die Escape-Taste zu belegen, kann man die auch nicht verwenden, um Dialoge abzubrechen oder das Spiel zu beenden, weil man versehentlich einen Raum betreten hat und damit einen endlosen Dialog, der das Tutorial beendet, eine nicht überspringbare Zwischensequenz für den nächsten Akt und den nächsten nicht abkürzbaren Dialog auslöst. Nur mit Alt+Tab und Taskamanager schaffe ich es, das Spiel abzuschießen, statt mir eine Viertelstunde Kino in Konsolenqualität (sprich: keine Optionen, die Graphik an Monitor und Graphikkarte anzupassen, friss oder stirb) ansehen zu müssen.
Dafür klappt Mikeys Steuerung – das bin ich: Agent Michael Thornton – erstaunlich gut. Ich habe in der letzten Zeit diverse Third-Person-Spiele angetestet und die meisten frustriert beendet, lange bevor meine Probestunde rum gewesen wäre: Es nervt mich zu Tode, wenn mein Blickfeld davon blockiert wird, dass ich einem Typen mit Haltungsschäden auf den Rücken stiere. Ich will meine Gegner sehen können, nicht meine Wirbelsäule. In Alpha Protocol ist meine Spielfigur leicht nach links oder rechts versetzt (sehr angenehm, dass ich das auswählen kann – habe mich für links entschieden), so dass ich ein freies Blickfeld habe, und, wenn mir danach ist, Mikey ausblenden kann und so tun, als wäre ich doch in der Egoperspektive. Auch wenn Mikey natürlich herzallerliebst aussieht, Otto-Normal-Adonis, der zum Schleichen in eine gekrümmte Haltung wechselt, als wäre er ein Blinddarmpatient kurz vorm Durchbruch. Später kann ich sogar sein Aussehen verändern – also, mir eine von vier Frisuren aussuchen, ihm einen Bart wachsen lassen oder ihm eine von drei Deppenmützen aufsetzen. Für ein Rollenspiel hätte ich da mehr Spielraum zur Individualisierung erhofft, und es wirkt irritierend, dass in den »Drei Monate Später«-Zwischensequenzen immer der Nicht-Individualisierte Michael aus dem Vorspann zu sehen ist, so dass ich ihn fast nicht wiedererkannt hätte.
Um das Tutoial zu überstehen, bekomme ich – nachdem ich mch durch die halbe Anlage geschlichen habe und ein Halbdutzend Wachen mit Kopfschüssen ausgeschaltet habe, diverse PCs gehackt und Alarmanlagen ausgeschaltet – eine Einführung, wie man schleicht, schießt und hackt. Wirklich, das hätte ich eine halbe Stunde früher brauchen können. So bestehe ich alle meine Prüfungen mit Bravour, und ausgerechnet der Schleichtrainer, man glaubt es nicht, ist ganz besonders zufrieden mit mir. Ich! Ein Schleichspiel! Die Minigames, mit denen man Computer hackt und Türen knackt, rangieren zwischen »ganz nett« und »die Pest«. Schlösser sind sehr, sehr einfach, Alarmanlagen machen Spaß, aber um PCs zu hacken, muss man in einem Buchstabensalatfeld zwei bestimmte Zeichenfolgen finden, während sich die Felder laufend verändern. Ich habe eigentlich eine Stärke im Bereich Mustererkennung, sollte das also richtig gut können, und bin immer wieder dran verzweifelt. Aber immerhin, ich habe jeden einzelnen PC, der mir über den Weg gelaufen ist, früher oder später hacken können.
Zur Handlung kann ich nicht viel sagen. Es gibt also Agenten und Terroristen, und ich wette, die Hälfte meiner Tutorial-Kontakte werden mir früher oder später übelst in den Rücken fallen und sich als korrupte Agenten der Gegenseite herausstellen (ein zweiter gutaussehender Kerl? Das muss ein Feind sein!). Bei der Gestaltung der nicht handlungsrelevanten Figuren haben die Designer von Obsidian Entertainment den Fehler gemacht, einen Typen mit sehr charakteristischem Hachfressengesicht zu verwenden, das dann irritierenderweise drei aufeinanderfolgende Türen blockiert. Entweder macht die Typen individuell, oder weniger charakteristisch – es sei denn, die CIA beschäftigt seit neuestem eineiige Achtlinge. Dafür sind die Sprecher durch die Bank ordentlich, und die Dialoge laufen flüssig und klingen so, wie Menschen sich tatsächlich ausdrücken würden.
Die rollenspielerischen Elemente sind – zumindest am Anfang – noch wenig ausgeprägt, von den Dialog-Optionen abgesehen, mit denen man seinen Ruf bei den verschiedenen Fraktionen und NPCs beeinflussen kann. Ich durfte zwischendurch steigern und ein paar Fähigkeitspunkte verteilen, wobei ich offenbar eine Pistolen-Sonderfähigkeit erworben habe und keine Ahnung, wie ich die einsetzen soll. Aber ich mag meine Pistole. Ich kann zielen und Leuten in den Kopf schießen. Ich hoffe, meine Mutter, die mich zur Pazifitstin erzogen hat, liest hier nicht mit aber ich schieße grundsätzlich auf Köpfe. Es gibt Punktabzug, dass ich in diesem Spiel kein Sniper Rifle bekommen kann. Ich bin der geborene Sniper. Überhaupt stelle ich fest, dass ich Schleichspiele nur dann nicht kann, wenn das Ziel ist, überhaupt nicht bemerkt zu werden und unerkannt von A nach B zu kommen. Darf ich mich anschleichen und verstecken, um meinen Gegern gepflegt die Köpfe wegzuschießen, bin ich hingegen richtig gut, geduldig und mit ruhiger Hand. Erwähnte ich, dass ich gern ein Sniper Rifle hätte? Hier bekomme ich nur ein Sturmgewehr. Und eine Schrotflinte. Und Sprengstoff. Aber ich habe immerhin meine Pistole. Könnte also schlimmer sein.
Während ich nach zwei Stunden immer noch denke, dass der Plot dieses Spiels nicht ganz so mein Ding sein dürfte, macht es doch großen Spaß. Ich bin ein amerikanischer Agent, ich hoffe, ich bekomme noch die Gelegeheit, viele Köpfe wegzuschießen, Unschuldige zu foltern, bis sie gestehen, und Wohnhäuser von Zivilisten in die Luft zu jagen, was man halt so tut im Krieg gegen den Terror. Ich weiß, warum ich Shooter mit fiktiven Szenarien bevorzuge im Vergleich zu Pseudo-Realismus: Diese pseudo-realistischen Plots nehmen Szenarien, bei denen echte Menschen leiden und sterben, und machen daraus amüsante Action, und das stört mich. Ich mag keine Shooter, die in echten Kriegen spielen, weil ich dabei immer an die echten Opfer denken muss. Darum ist mir ein dystopisches Nah-Zukunfts-Setting wie bei Deus Ex deutlich lieber. Aber wenn man sich einmal damit abgefunden hat, es hier mit Al-Qaida für Arme zu tun zu haben, und die Schwächen des Konsolenports verzeihen kann, bekommt mit Alpha Protocol ein günstiges, spannendes, auch nach sieben Jahren noch ansehnliches Spiel mit Schwerpunkt auf Story und Dialog, nicht zu hohem Herausforderungsgrad und entsprechend niedrigem Frustlevel. Es sei denn, man muss PCs hacken.