Vernon’s Legacy habe ich mir vor einem guten halben Jahr gekauft (da war der Steam Summer Sale – das kommt hin), weil mich die Graphiken wirklich angesprochen haben, auch wenn das Spiel da noch in der Open Access-Phase war und ich eigentlich keine Open Access-Games kaufe. Es hat nicht viel gekostet, und ich war wirklich neugierig – gespielt habe ich es aber erst jetzt, nachdem ich gesehen habe, dass inzwischen die Finalversion released worden ist. Und wer mich ein bisschen kennt, dem reicht ein Blick auf den ersten Screenshot, warum ich da nicht widerstehen konnte: ein Spukhaus! Ein Gruselspiel! Wirklich, ich komme um kein Spukhausspiel rum. Selbst, wenn die Kritiken noch so abgründig sein mögen – jedes Spukhaus mit einigermaßen erträglicher Graphik wird gekauft, und, manchmal, auch gespielt. Da ich mir gerade zum Jahresende ein bisschen Urlaub gönne und vor lauter Spielen nicht weiß, wo ich anfangen soll, habe ich mir also ein Stündchen Vernon gegönnt. Und es war schön, so lange, bis ich ohne Vorwarnung gestorben bin.
Vom Prinzip her ist Vernon’s Legacy die Zwanziger-Jahre-Version von Gone Home – während draußen ein Unwetter tobt, wandert man durch ein verlassenes Haus, findet Notizen, und sammelt die Schlüssel, um die verschlossenen Räume aufzusperren. Anders als Gone Home ist dieses jedoch ein Spiel, das auch gruselig sein soll, und an der Stelle, muss ich gestehen, hat es über weite Teile meines Stündchens gehapert. Als Robert, einziger Erbe des verstorbenen Vernon, stapfe ich durch sein prachtvolles Anwesen in Lothringen, erfahre, dass das Personal nach Onkels Tod das Haus verlassen hat, und reime mir zusammen, was in den Monaten vor Vernons Tod ist. Aber wo die Graphiken wirklich ganz bezaubernd und bestechend athmosphärisch sind – an dieser Stelle ein großes Lob an das Team von TripleBrick, die es geschafft haben, eine düstere Stimmung einzufangen, ohne dass alles viel zu dunkel ist: Man kann alles erkennen und auch schöne Screenshots machen – will der eigentliche Gruselfunke nicht überspringen. Das Spiel bleibt seltsam steril.
Es mag daran liegen, dass die Geschichte, die sich langsam entfaltet, viel zu trivial und abgedroschen ist. Wo Gone Home psychologisch dicht das Herz berührt, hat Onkel Vernon offenbar nur zu tief im Keller gebuddelt, irgendwas aufgestört, das nicht gestört werden sollte, und sich danach so verändert, dass ihn selbst die Diener nicht mehr leiden mochten. Dass das Spiel versucht, parallel dazu die Geschichte von Deutschland und Frankreich im Umfeld des Ersten Weltkriegs zu erzählen, ist zwar gut gemeint, wirkt aber wie nachträglich aufgedrückt, um eine Geschichte, die überall und irgendwann spielen könnte, historisch zu verankern, und wüsste man nicht, dass man sich um 1920 befinden soll, könnte es ebensogut 1880 sein – die Epoche ist nicht fühlbar, ebensowenig wie der Ort der Handlung. Man erfährt, dass man sich ungefähr 30 Kilometer von Metz entfernt befindet, könnte aber ebensogut in einem stereotypen victorianischen Herrenhaus unterwegs sein. Da hilft auch kein Tagebucheintrag, der beiläufig von zwei versteckten Deserteuren berichtet – Hans und Werner haben keine Spuren im Haus hinterlassen.
Einzig die deutschen Titel weniger herumliegender Bücher verraten, in welchem Land man sich befindet. Selbst die Namen der Beteiligten scheinen willkürlich zusammengesucht zu sein – Madeleine, die französische Köchin, und Alois, der bayrische Diener, können ja noch zum Setting passen, aber Vernon, ausgerechnet? Vernon mag ein französischer Ortsname sein, aber als Vorname ist das nur in Amerika gebräuchlich. Und wo die Shopseite uns eine »authentische Jugendstil-Umgebung« verspricht, hat die Umgebung tatsächlich viel Stil, aber wenig Jugend. Viele Details wollen nicht zusammenpassen: Tagebücher berichten, dass Vernon jetzt mit Alois und Madeleine in der Küche isst statt im Esszimmer – da steht aber kein zum Essen geeigneter Tisch. Und so ist verständlich, dass die Schränke in den Dienstbotenzimmern leer sind, schließlich sind ihre Bewohner gerade ausgezogen und haben vermutlich ihren Kram mitgenommen, aber das erklärt nicht, warum auch alle anderen Schränke und Schubladen im Haus, die man öffnen kann, leer sind bis auf ab und zu einen Zettel mit Tagebucheintrag oder einen versteckten Schlüssel. He, ich bin der Erbe, das ist mein Zeug, und ich will es haben!
So wirkt das Haus über weite Strecken, als wäre es schon vor langem verlassen und in der Zwischenzeit geplündert worden. Und gemessen daran, dass bis vor kurzem noch der getreue Alois nach dem Rechten gesehen hat, ist alles bemerkenswert verdreckt. Man beachte nur die schwarzverkrustete Kloschüssel! Also, an Verons Stelle hätte ich dem Burschen etwas gehustet! Auch andere Sachen stören – vielleicht bin ich von der akribischen Umsetzung der Neunziger in Gone Home einfach noch verwöhnt, aber wenn ich in einem deutschen Haus 1920 einen Kalender an der Wand finde, dann kann der in ziemlich vielen Schrifttypen gesetzt sein, aber sicher nicht in der Helvetica, einer Schrift, die erst in den 1950ern entwickelt wurde. In den 20ern waren Frakturschriften üblich. Ja, das kann dann nicht jeder Spieler lesen, aber es ist wenigstens authentisch. Und warum sind der Kalender und die Bücher auf Deutsch, aber der Kellerplan auf Englisch abgefasst? Dass ich, wenn ich das spiel auf Englisch spiele, die Tagebuchnotizen auf Englisch finde, ist eine Sache, aber zumindest für die Umgebung hätte ich da etwas mehr Konsistenz erwartet.
So habe ich in ziemlicher Seelenruhe und ohne nennenswerten Grusel das Haus erkundet – nachdem ich einmal die versteckte Sicherung gefunden habe, brennen überall die Lampen, ohne dass ich sie noch einschalten müsste – und mich nur an einer Stelle etwas gefürchtet, wo ein Flur im Dunkel endet und man einen Wind heulen hört, der dort nicht zu sein hat. Ansonsten muss man ein paar Rätsel lösen, Kombinationsschlösser, für die man versteckte Hinweise finden kann, die sich alternativ aber auch über Brute Force öffnen lassen, und immer brav in alle Schubladen öffnen, um die fehlenden Schlüssel zu finden, obwohl Madeleine mir noch eine Notiz hinterlassen hat, sie hätte alle Schlüssel mitgenommen, damit ich nicht den unbeschreiblichen Schrecken im Haus anheimfalle. Ehrlich, da war nichts schrecklickes, bis auf das Klo. Nur in den Keller sollte man vielleicht besser nicht gehen – da lag aber der Schlüssel zum Öffnen nur einen Meter vom Schloss entfernt und alles andere als versteckt. Madeleine weiß wohl auch nicht, was sie will.
Und so stieg ich ohne nennenswerte Erwartungen in den Keller hinunter, wunderte mich nur, warum die Treppe hinter einer Geheimntür verborgen war (einer Geheimtür mir scheunentorgroß aus der Wand ragendem Schloss, allerdings), was sehr unpraktisch ist, wenn man an den Boiler der Heizung will. Der Keller, da unbeleuchtet, war dann entsprechend gruseliger als der Rest des Hauses, beleuchtet nur von der einsamen Laterne, die man an der Tür gefunden hat (und mit der ich die geheimnisvolle Ecke im Küchenflur untersucht hätte, hätte nicht postwendend ein neues Kapitel angefangen, weswegen ich nicht mehr ins Erdgeschoss zurückkomme), aber auch hier gab es nichts wirklich interessantes zu sehen – bis ich eine Tür aufmachte, mir ein Wind entgegenwehte, darin die Gestalt eines Totenkopfes, und mir das Spiel freudestrahlend erklärte, dass ich jetzt tot bin. Äh … ich mag Grusel, wirklich. Ich mag es, wenn sich eine furchterregende Stimmung langsam aufbaut, bis man sich nicht mehr um die Ecke traut. Ich mag es nicht, völlig unmotiviert tot umzufallen.
Und deswegen ist es dann auch erstmal bei einem Probestündchen geblieben. Da passte einfach zu vieles nicht zusammen. Dass ich vor den Katakomben unter dem Keller gewarnt werde, nur um im an sich harmlosen Keller, und ohne dass sonst etwas passiert wäre, sterbe – das führt zwar dazu, dass ich im Keller jetzt auf jeden Schritt achte, auf jeden Windzug, und Angst um mein nacktes Leben habe. Aber »Bämm! Du bist tot!« ist noch billiger als ein Jumpscare. Da wird erst eine Geschichte inszeniert, dass Vernon im Keller schwindelig wird und er daraufhin erhöhte Kohlendioxinwerte misst, und ich bin darauf vorbereitet, nett animierte Schwindeleffekte zu erfahren. Aber statt dass Robert – der ruhig auch mal was sagen könnte, statt nur wortlos durch das Haus zu stromern – über Schwindel klagt oder das Bild verschwimmt, falle ich gleich tot um? Ohne mich. Das lasse ich mit mir nicht machen. Und auch wenn ich auf die Dauer wissen will, was da unter dem Keller lauert, oder wohin die Deserteure verschwunden sind und Harras, der Hund, bin ich jetzt erstmal sauer.
Wenigstens speichert das Spiel beim Verlassen automatisch ab – oder was man so speichern nennt. Es merkt sich zwar, welche Türen man geöffnet hat, aber all meine zerdepperten Vasen (man weiß ja nie, wo nicht noch ein Schlüssel versteckt ist, und die Dinger splittern, sobald man sie mit einem Buch berührt, weswegen ich keine Vase im Haus ganz gelassen habe) waren beim nächsten Besuch wieder ganz. Das war eigentlich das gruseligste an diesem Haus – dass ich ihm egal bin. Ich kann tun, was ich will, ich hinterlasse keine Spuren. Ich kann Kissen im Bett herumwerfen oder im Flur mit Pappkartons spielen – es ist einfach, Dinge zu nehmen, und schwer, sie wieder hinzulegen, zumindest nicht ordentlich – aber wenn ich das nächste Mal schaue, ist alles wieder beim Alten. So startet man nach jedem Laden auch wieder am Anfang des Levels, in der Halle oder an der Kellertreppe. Und auch wenn das jetzt die Finalversion ist – frei von Glitches und Graphikbugs ist auch dieses in Unity geschriebene Spiel noch lange nicht.
Alles in allem wirkt Veron’s Legacy weniger wie ein eigenständiges Spiel als mehr wie eine sehr gut gemachte Werbung für die 3D Environments, die TripleBrick entwickelt und an Spieledesigner verkauft, wie ein Maklerbesuch im virtuellen Angebot – so sind die Versatzstücke, aus denen Vernons Haus zusammengesetzt ist, zwar von den Entwicklern selbst gestaltet, aber immer noch nur Versatzstücke. Die Räume passen nicht zum Grundriss, gefühlt das halbe Erdgeschoss fehlt, weil zwar Flure da sind, aber keine Räume, noch nicht einmal Türen dafür, aber es ist egal, what you see is what you get. Und weil sich dreckige Klos besser verkaufen als saubere, passend zum Grungefeeling alter Spukhäuser, gibt es dann auch hier nur dreckige Klos, angekatschte Fußböden, das Übliche halt, schau es an und kauf es in TripleBricks Asset-Shop. So bleibt es bei optischer Perfektion – was fehlt, ist Handlung, Herzblut, und leider auch Stimmung. Denn was taugt das beste Geisterhaus, wer ausgerechnet der Geist fehlt?