Lesen müsste man können! Hätte ich besser hingeschaut, hätte ich gesehen, dass dieses Spiel mitnichten ein lustiges Puzzle mit Zombies ist, sondern Zoombinis, mit Doppel-O – keine Untoten, sondern kleine blaue Kreaturen mit bunten Nasen, die durch einen Parcour aus Logikrätseln geschleust werden müssen. Ich darf mich nicht beschweren, zum einen hat das Spiel deutlich unter einem Euro gekostet, zum zweiten macht es wirklich Spaß, und zum Dritten habe ich eigentlich für Zombies sowieso nicht viel übrig. So bin ich, durch Zufall, an ein Spiel gekommen, das mich zwar optisch nicht wirklich anspricht und aussieht, als wäre es in erster Linie für kleine Kinder gemacht, aber die grauen Zellen anständig fordert und Langzeitspielspaß mitbringt: Ich wollte es für ein Stündchen anspielen, schon habe ich fünf Stunden auf dem Zähler und bin noch lange nicht am Ende.
Schaue ich mir die Spielerkommentare auf Steam an, bin ich offenbar der letzte Mensch, der noch nicht von den Zoombinis gehört hatte. Tatsächlich ist es ein Kickstarter-finanziertes eins-zu-eins Remake eines Spiels von 1996, The logical journey of the Zoombinis, das auf dem amerikanischen Markt Klassikerstatus geniest, es aber offenbar nie nach Deutschland geschafft hat. Dementsprechend ist es jetzt für mich kein Fall für die Retro-Kategorie, denn ich verbinde mit dem Spiel keine Erinnerungen. Dabei scheint das Remake sehr behutsam angegangen worden zu sein, vergleicht man die alten Graphiken mit den neuen, die alles deutlich aufhübschen, dabei aber ihren Vorlagen immer noch überaus ähnlich sehen. Auch die Erzählerstimme wurde aus der ursprünglichen Fassung übernommen, einschließlich Hintergrundrauschen.
Ich dachte, das Spiel begänne mit dem Erschaffen eines Zoombini-Avatars, wobei man aus jeweils fünf verschiedenen Haaren, Augen, Nasen und Füßen auswählen kann. Aber weit gefehlt – ich hätte das Kleingedruckte lesen sollen. Ganz am Anfang erschafft man nicht weniger als sechzehn Zoombinis, von denen keine zwei identisch sein dürfen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Um das Spiel zu beenden, muss man insgesamt vierhundert Zoombinis basteln. Zu meiner Erleichterung müssen es nicht auch noch vierhundert verschiedene sein – auch wenn rein rechnerisch 625 verschiedene Zoombinis möglich sind, muss man nicht versuchen, jede jemals gebildete Kombination auswendig zu lernen, nur die Sechzehnergruppen, mit denen man jeweils loszieht, müssen sich unterscheiden. Und dieses Aussehen ist nicht einfach nur ein Fluff-Element, um Kinder zu unterhalten und ein bisschen Individualität reinzubringen, sondern die Grundlage für so ziemlich alles, was in diesem Spiel passiert.
Auf dem Weg ins gelobte Zoombiniville müssen die blauen Kreaturen, die mehr als nur entfernt an den Kartoffelknülch erinnern, immer wieder neu sortiert und grupiert werden – nur kennt man erst einmal die Kriterien nicht. Je nachdem, welcher Zoombini über welche Brücke oder in welche Höhle darf, kann man ableiten, welches Merkmal da wohl den Ausschlag gegeben hat – und sollte das schnell tun, denn die Anzahl der möglichen Fehlversuche ist begrenzt. Dann stürzt die Brücke ein, und alle Zoombinis, die noch nicht auf der anderen Seite waren, haben Pech gehabt, während man mit den geretteten weiterzieht. Keine Sorge, die Zurückgebliebenen sind nicht verloren – sie sammeln sich am letzten Speicherpunkt und können, sobald man da wieder sechzehn Stück hat, es in der nächsten Runde neu versuchen. So oder so wird man jedes Spiel sehr, sehr oft spielen – will man alle 400 Zoombinis nach Zoombiniville bringen, muss man mindestens fünfundzwanzigmal laufen, Fehlerversuche nicht eingerechnet.
Der Grund, warum das Spiel trotzdem nicht so schnell eintönig wird, ist der Schwierigkeitsgrad. Der stellt sich nämlich alle paar Durchgänge eine Stufe rauf, so dass immer, wenn man denkt, ein Spiel so sicher geknackt zu haben, dass man es immer zu 100% schafft, plötzlich nach mehreren Kriterien auf einmal sortiert werden muss, ohne dass die Anzahl der Freiversuche dabei steigen würde. Dann will nicht mehr nur ein Troll als Wegzoll eine Pizza al Gusto, sondern zwei oder drei. Man kann Zoombinis auch als Allegorie auf die Hürden der Kommunikation sehen: Würde in diesem Land jeder seine Interessen, Vorlieben und Abneigungen klar kommunizieren, wäre das Spiel deutlich schneller vorbei, und ich könnte meinen armen Zoombinis die schmerzliche Zurückweisung ersparen, die Treppe runtergekugelt zu werden, nur weil einem Höhlenwächter die Nase nicht passt.
Tatsächlich ist Zoombinis aber eine gute Vorübung, wenn man sich dafür interessiert, Programmieren zu lernen. Neben Logik wird auch Mustererkennung geschult, und Sortieren nach verschiedensten Kriterien ist für Arrays und dergleichen immer wichtig. Das Tolle an diesem Spiel ist, dass sein Prinzip schon für sehr junge Kinder verständlich ist, während man als Erwachsener immer noch tüchtig nachdenken muss und gleichermaßen gefordert wird. Graphisch soll sicher die jüngere Zielgruppe angesprochen werden, mir war der Putzigkeitsfaktor irgendwann dann doch ein bisschen hoch, und so liebevoll und lustig die Animationen auch sind, hätte ich oft lieber eine schnelle, eindeutige richtig/falsch-Anzeige, als jedesmal eine sich doch zunehmend wiederholende Animation anzuschauen.
So erfordern manche Spiele mehr Geduld, als mir lieb ist – hat man das Muster zu schnell durchschaut und setzt seine Zoombinis zu schnell in die Blasen, die sie über eine Schlucht tragen sollen, kollidieren die miteinander und sind weg, bis zum nächsten Mal. Also reinsetzen, warten … nächsten reinsetzen, warten … Bei einer Gruppe von sechzehn kann das schon mal dauern. Und es kann sein, dass ich auch mal zu ungeduldig auf »Nächstes Level« geklickt habe, ohne sicherzugehen, dass wirklich alle Zoombinis im Ziel stehen und nicht nur kurz davor, jedenfalls ist mir schon mehrmals passiert, dass ich sicher war, alle Sechzehn durch den Parcour gelotst zu haben, nur um am nächsten Speicherpunkt – die alle drei Level kommen und es ermöglichen, beliebige Mengen von Zoombinis einzulagern, so dass man selbst entscheiden kann, welche Puzzle man gerne spielen möchte – nicht weiterkomme, weil ich nur noch zu fünfzehnt bin, ohne mich zu erinnern, auch nur einen verloren zu haben.
Alles in allem ist Zoombinis ein nettes Spiel für zwischendurch mit erstaunlich hohem Suchtfaktor. Es ist, zumindest auf der leichterten Schwierigkeit, auch für Grundschulkinder bestens geeignet, und was die höheren Schwierigkeitsgrade angeht, wird das Problem eher in der Frage liegen, ob eine Neunjährige wirklich jedes Spiel fünfundzwanzigmal oder öfter spielen will oder ob das Erfolgserlebnis sich nicht schon dann einstellt, wenn die erste Gruppe erfolgreich in Zoombiniville angekommen ist. Tatsächlich scheint das Spiel aber, wiederum aus den Steam-Rezensionen zu schließen, in allererster Linie von Menschen mittleren Alters gespielt zu werden, die Zoombinis aus ihrer Kindheit kennen und sich an ihren Erinnerungen erfreuen. Ich empfehle es jedem, der ein Faible für Logikrätsel hat – wer hingegen Mathe hasst und wem allein die Vorstellung, stundenlang kleine Wesen nach Brillen und Nasen zu sortieren, ein Greuel ist, der sollte um dieses Spiel einen weiten Bogen machen.