The 7th Guest

Willkommen in meinem Haus!

Wenn ich heute über Grusel- und Puzzlespiele schreibe, muss ich eigentlich mit dem anfangen, ohne das es das alles nicht gäbe – ein Spiel, das nicht nur in seiner Zeit Maßstäbe gesetzt hat und das Genre der lösbaren Puzzlespiele begründet hat (lösbar heißt: Ich rede nicht von Myst), sondern ohne dass ich vielleicht nie eine Mysteryautorin geworden wäre. Ein gruseliges altes Haus voller noch viel gruseligerer Puppen – wie klingt das? Genau: wie The 7th Guest. Und dieses Spiel, das inzwischen nicht weniger als dreiundzwanzig Jahre auf dem Buckel hat, ist dank Steam und Gog.com heute wieder und immer noch spielbar. Und wenn man über die inzwischen natürlich heillos veraltete Graphik hinwegsieht, das schmierenkomödiantische Chargieren der vor dem Greenscreen agierenden Schauspieler, dann bleiben immer noch so knifflige und originelle Rätsel und Spiele übrig, dass sich The 7th Guest immer noch und immer wieder lohnt.

Als ich The 7th Guest das erste Mal spielte, um 1996 herum, war es für mich bahnbrechend. Ich hatte mir für nicht weniger als fünfundzwanzig Mark die Doppel-CD gekauft, ohne wirklich eine Ahnung zu haben, um was es in dem Spiel ging, weil mich der Titel ansprach und ein geheimnisvolles Haus drauf abgebildet war und ich dieses Faible für gruselige Häuser nicht erst seit drei Jahren habe. Mit den Rätseln traf es genau meinen Geschmack, vor allem aber gruselte es mich stellenweise so sehr, dass ich nicht mehr alleine und erst recht nicht bei Nacht spielen mochte. Mit meiner Freundin Monica spielte, rätselte und knobelte ich danach zusammen, mehrere Tage lang versuchten wir, aus den nicht chronologischen Spielszenen die Handlung zusammenzusetzen, und löste im Geiste nochmal das Springerrätsel, wenn ich die schachbrettartig gemusterte Küchendecke unserer Freundin Sabine sah, die wir mit ins Boot holten, als wir nicht weiterwussten. Es sollte bis ca. 2005 und Deus Ex dauern, bis ein Spiel derart meine Sicht auf die Welt beeinflusste.

Sechs Gäste auf einen Haufen – ein seltener Anblick. Wer wir am Ende noch am Leben sein?

Zu dritt schafften wir das tatsächlich das Unmögliche: Wir bezwangen Henry Stauf. Wir gewannen das ungewinnbare Laborspiel, sortierten Buchstabenwürfel erst mühsam falsch und dann mühsam richtig, und waren am Ende über den antiklimaktischen Schluss enttäuscht, der irgendwie so wirkte, als hätten die Macher nicht erwartet, dass ihn überhaupt jemand zu Gesicht bekommen würde und der viel weniger komplex war als das, was wir uns an Plot zusammengereimt hatten. Aber trotz dieses Schlusses war es ein großartiges Spiel, auf das wir lange und gerne zurückblickten. Wir spielten auch die deutlich schwächere Fortsetzung The 11th Hour, und ich gehöre zu den wenigen, die auch das gefloppte dritte Trilobyte-Puzzlespiel Clandestiny auf Original-CD besitzen.

Viel später versuchte ich es noch einmal im Alleingang, scheiterte aber am Laborrätsel und gab auf – aber alle paar Jahre starte ich einen neuen Versuch, und jetzt war es mal wieder soweit. Manche Rätsel, insbesondere die Worträtsel, gehen sehr schnell, weil ich auch nach zwanzig Jahren nicht vergessen habe, was für einen Satz man ohne Vocale, nur mit einer Unmenge Ypsilons, bildet, oder welche Texte sich im Teleskop und auf der Bettdecke der Nymphomanin Martine Durden ergeben. Aber wenn es dann daran geht, acht Läufer die Plätze tauschen zu lassen, wird es nicht weniger schwierig als damals. Und was die Reversi-Partie im Labor angeht: Das Spiel kommt mir heute noch schwerer vor als damals, als ob es für die KI einen Unterschied macht, ob sie auf einem 486er ohne mathematischen Coprozessor ausgeführt wird oder einem modernen Intel Core i5. Dabei hat es dieses eine Rätsel sogar unter dem Namen The 7th Guest: Infection als Standalone-Game gegeben.

Sprecht mir nach: »Chlurp Chlurp Chlurp Chlurp Chlurp Chlurp …«

Die Graphiken sind nicht in Würde gealtert – insbesondere die Spielszenen sind oft nur schlecht zu erkennen, was natürlich an dem Unterschied zwischen einem 640×480-Monitor und Full HD liegen kann, aber trotzdem anstrengend für die Augen ist. Und die Steuerung, damals schon umständlich, ist heute die Pest. Hätte das Spiel nicht mit jeder Sekunde »Ich kann 3D!«-brüllen müssen, wäre es heute deutlich einfacher. So dreht, wendet und taumelt man durch die Halle wie ein dicker Tanzbär und braucht Ewigkeiten, um von einem Ende zum anderen zu kommen – da lobe ich mir die Wimmelbildabenteuer, die heute das Erbe von The 7th Guest forsetzen, wo man sich durch schön gestaltete 2D-Räume bewegt und einfach auf die Tür klickt, durch die man gehen möchte, ohne erst noch eine Bodenturnkür hinglegen zu müssen. Will ich hier hingegen von der Bibliothek in den ersten Stock, muss ich erst zur Haustür und mich dort um die eigene Achse drehen, ehe ich mit der Anmut eines Volltrunkenen in Richtung Treppe steuern kann.

Auch die Rätselspiele selbst darf man nicht verklären. Ja, zwei oder drei von ihnen sind wirklich, wirklich tückisch, aber die meisten sind doch eher einfach, und einige wiederholen sich sogar. Lästig sind auch die Kommentare, die Gegenspieler Stauf oder die Spielerfigur selbst in die Rätsel hineinsprechen: So wie man nicht gleichzeitig gehen und kaugummikauen kann, verschwindet während des Geredes der Mauszeiger, und man muss warten, bis die beiden ihre Klappe halten. Dass Stauf einen aufhalten will, verstehe ich ja noch, aber Egos freundlich gemeinte Hinweise, wie das Rätsel funktionieren könnte, kommen üblicherweise immer dann, wenn man sich gerade fleißig in Richtung Lösung klickt und sie wirklich nicht brauchen kann. Ebenso muss man beim Bewegen im Haus warten, bis die Geistererscheinungen weg sind, ehe man weitergehen kann – und das nicht nur bei den plotrelevanten Szenen mit den sechs bis sieben Gästen, sondern auch der Weißen Frau, die ohne jeden Sinn oder Zusammenhang im ersten Stock herumgeistert.

Hier erwachen klassische Bilder zum Leben, zum Beispiel Füsslis »Nachtmahr«

Da können viele der modernen Wimmelbildspiele problemlos mithalten – und dazu gibt es sie reichlich, als schnellen und billigen Fix. Was damals ein AAA-Titel war, ist heute im Casual Gaming angekommen, und das haben die Macher von Trilobyte bitter merken müssen. Nach vielen Anläufen, einen dritten Teil von The 7th Guest zu entwickeln, versuchten sie es 2014 mit einer Kickstarterkampagne. Aber wo andere Retro-Relaunches auf fruchtbarsten Boden fallen, wurde die 435.000 $-Kampagne zu einem peinlichen Flop, der nur einen Viertel der geforderten Summe einspielte. 1993 noch bahnbrechend innovativ, ist der Markt an Rätselspielen heute gut ausgelastet, wenn nicht sogar gesättigt, und Trilobyte für The Collector einzig auf den großen Namen gesetzt haben, ohne herauszuarbeiten, was das Sequel vom Gros des Marktes unterscheiden sollte, um so viel Geld wert zu sein, kam der Misserfolg nicht unerwartet. Trilobyte cancelte den dritten Teil im Anschluss an die Kampagne komplett – aber noch ist nicht alles verloren: Da ist auf der einen Seite ein Fanprojekt mit Namen The 13th Doll, das es auf Kickstarter deutlich erfolgreicher angestellt hat, und zum anderen wird The 7th Guest selbst bald als Webserie zurückkehren, wie auch immer das dann aussehen wird.

Und auch sonst begegnet man Henry Stauf und seinen Gästen immer wieder: Mal in Form einzelner Rätsel, die es eins-zu-eins in ein Wimmelbildspiel geschafft haben (wobei das am häufigsten kopierte nicht aus The 7th Guest oder The 11th Hour ist, sondern das Froschhüpfrätsel aus Clandestiny), mal in Form dreister Kopien wie Mind Games, das nicht nur komplett aus abgekuperten Rätseln besteht, sondern dazu noch den Orignal-Soundtrack von The 7th Guest kopiert hat, einschließlich Kommentaren Staufs, ohne Trilobyte oder den Komponisten, The Fat Man, um Erlaubnis zu fragen. Das hat zu einer netten Twitterkommunikation zwischen mir und dem Fat Man geführt, als ich ihn auf das Plagiat hingewiesen habe und ihn an den osteuropäischen Mind Games-Entwickler weitergeleitet, mit dem er sich jetzt wohl außergerichtlich geeinigt hat. Ich hoffe, der Fat Man bekommt eine angemessene Vergütung. Denn was auch immer man heute über die Graphiken und Schauspieler sagen mag: Musikalisch ist The 7th Guest unverändert großartig, und was damals mein Grund war, mir überhaupt eine Soundkarte anzuschaffen, klingt auch heute noch großartig.

Und nur deswegen habe ich heute ein altes Haus mit exakt dem gleichen Küchenfußboden!

Ich kann The 7th Guest nicht allen Spielern uneingeschränkt empfehlen, dafür ist es einfach zu fühlbar alt, und was vor zwanzig Jahren echt gruselig war, ist heute kaum mehr als ein Schulterzucken. Alte 2D-Pixelgraphik macht heute noch Spaß, alte 3D-Graphiken tun hingegen weh, und die ins Bild montierten Menschen wirken nie, als ob sie wirklich da wären. Aber wer das Spiel damals gespielt hat, kann an einer Reise in die Vergangenheit immer noch Spaß haben und sich freuen, dass man die Lösung für das Konservendosen-Rätsel mit den ganzen Ypsilons im Leben nicht mehr vergessen wird. Und moderne Wimmelbildjünger könnten es spannend finden, sich einmal anzusehen, wie das alles angefangen hat, damals, als sich Menschen noch ein CD-Laufwerk kaufen mussten, um dieses Spiel – eines der ersten, die nicht mehr auf Disketten veröffentlicht wurden – spielen zu können. Als man eigene Startdisketten hatte, die einem die passende Menge Arbeitsspeicher freischaufelten, um c:\id\t7g starten zu können. Ach, die gute alte Zeit … Heute gibt es so viele bessere Spiele. Aber ohne dieses gäbe es sie nicht.

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