Es gibt ein paar wenige Spiele, deren Dialoge kann man auch zwanzig Jahre später noch auswendig nachsprechen, und das, an was ich mich am besten zu erinnern glaubte, ist Day of the Tentacle. Es ist eines der wenigen Spiele, das ich mir nicht ein- sondern zweimal gekauft habe in einer Zeit, in der die meisten Spiele, die ich besaß, Kopien von Freunden waren oder von Heft-CDs stammten – das erste, die Disketten-Version, hatte keine Sprachausgabe, weswegen ich später nochmal in die CD-Version investiert habe. Ich erinnerte mich gerne zurück an das genialste aller Lucasarts-Adventures. Skurrile Figuren. Witzige Dialoge. Knifflige Rätsel. Drei Zeitebenen. Vielleicht war Monkey Island kultiger. Vielleicht war Sam and Max böser. Aber als rundum gelungenes, originelles Abenteuer ragte nichts, wirklich nichts, an den Tag des Tentakels heran. Nie werde ich vergessen, wie ich wochenlang nicht weiterkam, weil ich in einem Zimmer die Tür nicht geschlossen hatte …
Als ich vor gut zwei Jahren hörte, dass eine überarbeitete Neuauflage in Vorbereitung war, war ich in gleichem Maße enthusiastisch und skeptisch. Ich hatte bereits das überarbeitete Monkey Island gespielt und mochte den modernen Graphikstil nicht – um so froher war ich, als erste Bilder von Dott Remastered erschienen, auf welchen der alte Stil eins-zu-eins an moderne Bildschirmauflösungenund Graphikkarten jenseits von VGA angepasst worden waren, ohne dabei ihren schrägen Charme zu verlieren. Aber würde das Spiel zwanzig Jahre später noch den gleichen Witz haben, oder sollte ich mich nicht doch lieber auf eine schöne Erinnerung besinnen? Mit Schaudern musste ich daran denken, wie schlecht ehemalige Lieblingsfilme wie Der Rote Korsar oder Batman hält die Welt in Atem gealtert waren. Sollte man das beste Adventure der Neunziger nicht doch besser in den neunzigern lassen und sich darauf konzentrieren, gute neue Spiele zu machen?
Aber natürlich überwog die enthusiastische Neugier. Ich kaufte Day of the Tentacle Remastered am Tag des Erscheinens und spielte es vom Fleck weg durch, auch wenn der Bericht dazu jetzt mit ein paar Monaten Verspätung erscheinen mag. Und es war ein großes Vergnügen, geschmälert nur von zwei Dingen. Das erste ist, dass das Spiel – erfreulicherweise – die Original-Tonspuren der Dialoge verwendet hat, statt die Texte neu einzusprechen. Alles andere hätte ich ihnen übelgenommen, musste aber doch zugeben, dass man heutzutage in deutlich bessere Voice Artists investiert als damals. Die Dialoge klingen nicht nach professionellen Sprechern, sondern als ob ein paar Lucasarts-Mitarbeiter sie zwischendurch eingesprochen hätten. Es war mein erstes Spiel mit Sprachausgabe, und damals war es bahnbrechend, dass die Figuren überhaupt selbst sprachen und wir nicht mehr die Dialoge mit verteilten Rollen mitsprechen mussten – aber heute, neben den aufpolierten Graphiken, fällt diese Schwäche doch deutlich auf.
Der andere Wermutstropfen war mein zu gutes Gedächtnis. Während ich mit dem im Januar angefangenen Sam and Max hit the Road immer noch nicht weitergekommen bin, weil ich mich weigere, eine Komplettlösung aufzusuchen, hatten die Rätsel aus DOTT offenbar einen deutlich bleibenderen Eindruck hinterlassen. Ich wusste nicht nur noch immer, dass ich im Zimmer mit dem schnarchenden Mann die Tür schließen muss, um die Schlüssel zu finden – ich wusste auch noch alles andere. An keiner Stelle musste ich länger als drei Minuten überlegen, schon kam alles wieder, zwanzig Jahre nach dem letzten Durchgang. Wo ich 1995 noch Wochen über Wochen herumgerätselt hatte, war ich jetzt nach knapp über vier Stunden Spielzeit beim Abspann angekommen und fühlte mich mehr, als hätte ich einen alten Film nach Jahren noch einmal gesehen denn ein kniffliges Spiel gespielt.
Insofern sehe ich mich außerstande zu beurteilen, wie spielbar der Plot für moderne Spieler ist – wo Rezensenten die Rätsel für zu abstrus oder abseitig für das einundzwanzigste Jahrhundert hielten, habe ich an keiner Stelle herumrätseln müssen. Ich weiß daher nicht, wie das Spiel sich für eine DOTT-Jungfrau darstellt. Für mich war es ein Wiedersehen mit alten Freunden, und es war mir ein Vergnügen, bei den Dialogen zwischen der englischen und deutschen Tonspur hin- und herzuschalten, um meine Lieblingsstellen mitsprechen zu können: »Werden Sie Ihr Skalpell benutzen?« – »Nein« – »Werden Sie mein Skalpell benutzen?« – »Nein« – »Mist!« … Wie oft habe ich in den letzten zwanzig Jahren »Mist« gesagt in genau diesem Tonfall? Wie oft musste ich mir überhaupt anhören, dass ich aussehe oder gucke oder mich bewegen wie Laverne? Auch wenn ich heute, zugegeben, mehr wie Hoagie aussehe, habe ich doch dreißig Kilos zugelegt in der Zwischenzeit: Die Figuren sind mir so nah wie eh und je.
Und was das angeht, wirkt Day of the Tentacle noch immer. Die Figuren sind immer noch liebenswürdig skurril bis hin zu den kleinsten Nebenrollen. Jede Zeile Text versprüht die Freude der Scriptautoren, und auch wenn es den Sprechern an Talent oder Erfahrung mangelt, die Pointen sitzen besser als in vielen Spielen, die ich seitdem gespielt habe. Vor allem weiß Day of the Tentacle, was es sein will und zieht es durch. Es ist ein witziges, stellenweise makabres, gerne albernes Spiel. Es versucht nicht auf der einen Seite, die Welt zu retten, um dem Spieler dann flapsig drittklassige Wortspiele reinzudrücken. Ich kann die Vergangenheit manipulieren, wie ich lustig bin, ohne mich um zertretene Schmetterlinge sorgen zu müssen – und wenn ich zweihundert Jahre in der Zukunft einen Staubsauger im Keller brauche, schreibe ich halt die Verfassung der Vereinigten Staaten um.
Und: Das Spiel versucht nicht, seine Spieler für dumm zu verkaufen. Bestimmtes Geschichtswissen wird vorausgesetzt, nicht erklärt – wer nicht weiß, wer John Hancock oder Betsy Ross sind, hat erst Pech gehabt und hinterher zumindest eine Vorstellung davon, was für den deutschen Markt sicherlich problematischer ist als für den amerikanischen. Auch andere Sachen sind typisch amerikanisch, heute aber verständlicher als damals: Dass Amerikaner ihre Spaghetti nicht mit Bolognesesoße, sondern Fleischklößchen essen, war damals noch völlig neu für mich. Aber weil Day of the Tentacle seine eigenen Witze macht, statt zu sehr auf tagesaktuelle Popkultur zu setzen, wirkt es heute nicht wie ein Relikt. Umgekehrt: Dott ist Popkultur, und ich empfehle allen jungen Leuten, es heute einmal zu versuchen, damit sie verstehen, warum wir alten Säcke uns Sätze an den Kopf werfen wie »Nimm knusprig-warmer Hamster«
Die Remastered-Umsetzung ist grundsätzlich gut. Die Graphiken wirken wegen der heute deutlich größeren Monitore flächiger und detailärmer als früher – es hätte jetzt einfach viel mehr ins Bild gepasst, ist aber nicht da, weil es eben die Szenerien von 1993 sind – aber der typische Stil ist erhalten geblieben. Und wer mag, kann auch komplett auf die historische Ansicht und Steuerung umschalten. Erhalten geblieben ist auch das Spiel-im-Spiel, der DOTT-Vorgänger Maniac Mansion, in der Originalfassung von 1987, und wo ich vor zwanzig Jahren nicht recht mit dem Spiel warmgeworden bin, werde ich das heute immer noch nicht. Ich hoffe, das ist kein Omen. Ich hoffe, den jungen Leuten von Heute ist Day of the Tentacle nicht so zu alt, wie Maniac Mansion mir zu alt ist. Es ist nämlich ein tolles Spiel. Immer noch. Und es wird auch in zwanzig Jahren noch Spaß machen. Und wer immer schon mal einen Hamster in die Mikrowelle stecken wollte, sollte nicht zögern und sich Day of the Tentacle Remastered noch heute anschaffen.